Kjell befragt Anna, wie sie ihr sexuelles Interesse an behinderten Männern sich selbst und anderen verständlich macht. Anna berichtet, wie sie mit positiven und negativen Reaktionen auf ihr Coming-Out umgeht und was ihr in der Anfangsphase geholfen hat.
Transkript
Anna: Hallo und herzlich Willkommen zu Rollirotik, dem Podcast zu Sexualität und Behinderung. Heute sprechen wir über mein Coming-Out als Dev beziehungsweise lasse ich mich diesmal ein bisschen ausfragen von Kjell über meine Erfahrung dazu. Apropos Kjell: Hallo!
Kjell: Hi! Ja, wir hatten ja schon gesagt, dass das Umfeld nicht immer positiv auf Menschen reagiert, wenn die jetzt sich hinstellen und sagen “Ich steh auf Behinderte”. Jetzt hast du, Anna, ja schon gesagt, dass du das mit dem Begriff Coming-Out verbindest. Für mich war das eigentlich immer ein Begriff, den ich so im Kontext von Homosexualität kenne. Du beziehst den jetzt auf Devness, aber vielleicht kannst du nochmal erzählen, warum und was genau meinst du damit?
Anna: Ja, das ist eigentlich dasselbe Konzept, wie man es jetzt von Homosexualität kennt. Also es geht darum, dass man anderen Menschen von der eigenen Sexualität erzählt, von den eigenen Präferenzen und mir ist einfach im Laufe der Zeit aufgefallen, dass viele meiner Erfahrungen ähnlich sind zu Erfahrungen, die homosexuelle Menschen bei ihrem Coming-Out haben oder auch bei anderen sexuellen Vorlieben. Ich hab da auch glücklicherweise eigentlich relativ viele Materialien dazu gefunden und es gibt da einfach verschiedene Stufen, die man so durchläuft bei einem Coming-Out.
Kjell: Ok, welche sind das denn für dich?
Anna: Also die Wichtigste wäre erstmal das Coming-Out vor sich selbst. Das ist einfach das, was am Anfang stehen muss. Man muss sich erstmal ja selbst darüber bewusst werden, wie jetzt die eigene Sexualität funktioniert, bevor man anderen davon berichten kann. Und ich habe das beim letzten Mal schon angedeutet, das war ein ziemlich langer Prozess bei mir und mir ist gar nicht so ganz klar, wann ich das eigentlich das erste Mal bemerkt habe, dass ich so eine besondere Verbindung zu Menschen mit Behinderung spüre, weil es so lange ich denken kann, immer schon diese Faszination gab, also eine Faszination mit dem Andersartigen vielleicht oder mit Menschen, die irgendwie ungewöhnlich aussahen oder eben nicht so in die sie umgebenden anderen Menschen, Peergroups, wie auch immer, gepasst haben. Und dazu kommt, dass ich eigentlich in meiner Kindheit und Jugend kaum nennenswerte Begegnungen oder Erfahrungen mit behinderten Menschen hatte. Klar, es gab so ein paar flüchtige Erfahrungen, wo man mal jemanden auf der Straße sieht. Gar nicht so sehr da, wo ich aufgewachsen bin. Vielleicht waren wir dann mal in einer größeren Stadt und hat da mal jemanden gesehen, aber es war eigentlich nie irgendeine tiefere Erfahrung und trotzdem sind mir diese oder zumindest einige dieser flüchtigen Begegnungen noch relativ klar in Erinnerung. Das zeigt ja schon, dass es da irgendeine besondere Sache gab, dass es wichtig genug war für mich, mir das zu merken über die ganzen Jahre, also aus der Kindheit. Das erste Mal näheren Kontakt mit jemanden mit Behinderung hatte ich dann in der späteren Jugend. Das war auch nur von kurzer Dauer, aber da war mir schon sehr, sehr klar, dass da in mir irgendwas passiert durch diesen Kontakt. Also einfach durch das Kennenlernen von anderen Jugendlichen, die eben eine Behinderung hatten. Ich hab damals auch noch keine Verbindung zu meiner Sexualität gezogen. Es gab einfach diese Anziehung und ich hab irgendwie gemerkt, ich hab da jetzt so ein überdurchschnittliches Interesse daran und ich schau da gerne hi, ich guck mir das gerne an, wie die aussehen, sozusagen. Aber dass das jetzt was Sexuelles ist, habe ich gar nicht verstanden, vielleicht auch, weil ich einfach zu dem Zeitpunkt, obwohl ich da schon in der Pubertät war und so, noch gar nicht richtig sexuelle Gefühle hatte, weil es ja kaum was um mich rum gab, was das in mir auslösen konnte. Genau und die Verbindung zur Sexualität habe ich dann später gezogen. Das hat dann echt noch ein paar Jahre gedauert nach ein paar gescheiterten Beziehungen. Ich habe mich eben gewundert, dass mir diese Beziehungen sexuell nie was geben konnten, auch wenn ich gar nicht so genau wusste, was das sein könnte. Aber ich wusste ja schon, dass es irgendwie dazugehört. Dann habe ich mich halt doch mal ein bisschen mehr mit dem Thema beschäftigt, habe Selbstbefriedigung ausprobiert und eben gemerkt, dann in diesem Moment, welche Gedanken schießen mir da sozusagen in den Kopf, wenn ich wirklich in so einem Erregungszustand war. Das war dann immer so, dass es sich eigentlich ausschließlich um Menschen mit Behinderung gedreht hat. Und das ist auch trotzdem noch interessant, weil immer noch zu dem Zeitpunkt ich gar nicht so genau wusste, welche Behinderungen es eigentlich gibt und meine Vorstellungen dazu dann auch ziemlich fantasielastig waren, also gar nicht so immer an real existierende Behinderungen und schon gar nicht real existierende Person angelehnt.
Kjell: Ja, das finde ich spannend. Also das eine ist denke ich so diese Faszination, die du beschreibst, wo ich jetzt aus eigener Erfahrung sagen würde, das passiert mir auch im Alltag immer wieder, dass ich jetzt gerade bei jüngeren Menschen, insbesondere bei Kindern, das noch sehr ungefiltert wahrnehme, dass die ja dieses Anderssein erstmal mit einem gewissen neugierigen Interesse aufnehmen und da erstmal versuchen irgendwie rauszufinden, warum ist denn das jetzt so. Kinder stellen dann ja auch ganz gerne mal sehr ungefiltert Fragen. Von daher, diese Faszination damit, die du jetzt beschreibst, scheint ja wirklich nochmal deutlich darüber hinauszugehen. Da wüsste ich jetzt gar nicht so genau, ob ich das mitbekommen würde, so aus meiner Perspektive. Gleichzeitig erlebe ich auch immer wieder, dass es Menschen sehr schwer fällt, sich ein Leben mit einer Behinderung wirklich vorzustellen, gerade wenn es jetzt um eine schwere Behinderung geht, das ich dann teilweise auch wirklich mal von Leuten höre: ok, ich hab da jetzt überhaupt keine Vorstellung davon, was das genau für dich bedeutet, selbst wenn die mich ein bisschen kennen. Könntest du vielleicht mal ein Beispiel machen, wenn du jetzt sagst du hast dir quasi rein in der Fantasie eine Behinderung vorgestellt, wie das jetzt aussieht? Also wenn ich jetzt mal überspitze, was du gerade gesagt hast, dann würde ich mir die Frage stellen: Wie stellst du dir eine Behinderung vor, wenn du nie einen direkten Kontakt mit Behinderten hattest?
Anna: Ja, das war unterschiedlich, ne. Also eine frühe Phantasie, an die ich mich noch relativ gut erinnere, handelt von einem Mann, der einfach so verschiedene Bewegungseinschränkungen hatte. Wie gesagt, ich kann das gar nicht so richtig zuordnen jetzt, aber ich hab eben diese Szene im Kopf, wo ich neben ihm sitze und zuerst mit ihm rede und später dann auch in Berührungen versuche rauszufinden, wie sein Körper funktioniert, was er bewegen kann und was vielleicht nicht und ob ich ihm da irgendwie helfen kann dabei. Und diese Vorstellung alleine, obwohl sie ja gar nicht sowas richtig sexuelles beinhaltet hat, war damals sehr heiß für mich und naja, vermutlich wäre sie das oder ist sie das auch immer noch.
Kjell: Danke, dass du da so offen drüber redest. Wie ging es denn dann weiter für dich?
Anna: Ja, also nachdem ich dann verstanden hatte, dass das was Sexuelles ist, diese Verbindung gezogen hatte, habe ich mich dann schon relativ schnell aktiv damit beschäftigt, auch über viele Jahre. Das war so dieser Zeitpunkt des Coming-Outs vor mir selbst, wo ich dann irgendwann sagen konnte zu mir: Okay, also offenbar stehe ich auf Behinderte. Und im ersten Moment, wo ich das so an die Oberfläche geholt hab, weil gewusst habe ich es ja irgendwie schon länger, aber wo ich mir das wirklich bewusst gemacht habe, hab ich gar nicht so sehr die Konsequenzen davon überblickt. Eigentlich war ich erstmal ziemlich froh, das so rausgefunden zu haben und irgendwie auch verifizieren zu können. Ne, also zu sehen, ok, wenn ich mich jetzt in entsprechende Situationen begebe, dann merke ich, dass diese Schlussfolgerungen richtig waren. Diese Konsequenzen merkt man dann relativ schnell, wenn man das Ganze so ins reale Leben holt. Also nach dem Coming-Out vor mir selbst, als ich dann das erste Mal einen behinderten Mann als potenziellen Partner im echten Leben kennengelernt habe, das war schon überwältigend. Einfach zu wissen, dass es jetzt alles nicht mehr nur Theorie ist und dass das Leben mir jetzt wirklich hier, ja, so jemanden vor die Füße gespült hat, der bisher immer nur eine Person aus der Fantasie war. Ich meine, daraus ist dann nichts geworden, das ist rückblickend gesagt wahrscheinlich auch besser so, aber die starken Reaktionen, die ich dabei an mir beobachtet haben, haben halt keine Zweifel mehr offen gelassen, dass es schon die richtige Schlussfolgerung war. Ein zweiter Schritt, der dann so im Coming-Out vor mir selbst noch eine große Rolle gespielt hat, war die Kontaktaufnahme zu anderen Devs und auch, und das ist fast noch wichtiger gewesen, zumindest so in der Anfangszeit für mich, die Kontaktaufnahme zu Männern mit Behinderung. Online lief das da alles ab und das hat mir einfach sehr bei diesem Punkt der Selbstakzeptanz geholfen, die nach ihrem Coming-Out oder während eines Coming-Outs einfach so ansteht.
Kjell: An diesem Übergang zum Coming-Out vor dir selbst hattest du da irgendwie mal Scham oder Schuldgefühle? Oder konntest du das einfach alles direkt für dich so akzeptieren?
Anna: Ja, es ist ein bisschen schwierig, weil ich hab irgendwie schon gewusst, dass das ein Thema ist, über das man jetzt nicht so offen sprechen sollte. Ode zumindest hatte ich immer den Eindruck, dass das was ist, was ich lieber für mich behalte. Da kann man jetzt natürlich sagen, Sexualität ist das vielleicht insgesamt. Aber mir war irgendwie bewusst, dass gerade so diese Verbindung zu Behinderung da nochmal was spezielles ist, aber Schuldgefühle hatte ich eigentlich nicht, Scham auch nicht, aber trotzdem habe ich so ein bisschen gebraucht um mich zu überwinden, das jetzt anderen zu erzählen. Das war aber jetzt nicht so sehr aus Scham, sondern eher aus Angst vor negativen Reaktionen, weil mir halt schon klar war, dass das sehr ungewöhnlich ist, dass die Leute vermutlich noch nie was davon gehört haben und einige vermutlich davon auch so ein bisschen abgeschreckt werden.
Kjell: Du hast ja jetzt Anderssein erwähnt. Das gilt jetzt offensichtlich ja nicht nur für die Leute, zu denen du dich dann hingezogen fühlst, sondern in deiner Selbstbeschreibung gerade auch für dich selbst. Jetzt ist ja Individualismus in unserer Gesellschaft eigentlich relativ breit anerkannt. Kann man dann darüber das nicht anderen verständlich machen? Also so ein bisschen dass es halt, naja, das ist einfach eine Ausprägung von Individualität. Hast du das mal versucht? Wie waren überhaupt deine Versuche, wenn du versucht hast diese Innensicht anderen transparent oder begreiflich zu machen?
Anna: Ja, die Coming-Out-Erfahrungen waren schon alle sehr unterschiedlich. Also manchmal habe ich sehr viel erzählt und manchmal eher wenig, nur so ein paar Sätze. Es kommt auch immer sehr darauf an, ob der andere sich, das Gegenüber sozusagen, ob der sich dafür interessiert oder nicht. Aber ich glaube, manchmal ist halt gerade, wenn es so um Menschen mit Behinderung geht, da hat man halt oft noch so diesen Fürsorgegedanken, der dann bisschen diesem Individualismus entgegensteht. Aber die ersten Male insgesamt, wo ich es Leuten erzählt hab, also das waren zuerst Freunde, das war total schwierig. Es hat irgendwie gefühlt sehr lange gedauert, bis ich es das erste Mal überhaupt über die Lippen bekommen hab. Und das war dann auch schon zu einem Zeitpunkt in meinem Leben, wo ich kurz davor stand das wirklich ins reale Leben zu holen. Und damals zum Glück also wirklich zum Glück hatte ich ein paar Freunde, die damit sehr gut umgegangen sind und von denen ich auch vorher wusste, dass sie vielleicht auch so ein bisschen eine ungewöhnliche Sexualität haben und es hat mir das ein bisschen leichter gemacht, dann keine Angst vor ablehnenden Reaktionen zu haben. Und es ist dann mit der Zeit auch leichter geworden, ne. Also über die Jahre habe ich es dann fast allen engeren Freunden in meinem Umfeld erzählt. Ich finde, man kann zwar abwägen, ob es jetzt überhaupt wichtig ist, es zu erzählen, weil vielleicht kenne ich die genauen sexuellen Präferenzen meiner Freunde ja auch nicht, aber es ist einfach so ein großes Thema in meinem Leben und ich hab halt bemerkt, dass ich mich vollständiger und wohler und angenommener fühle in Freundschaften, in denen ich auch geoutet bin.
Kjell: Das zeigt er jetzt auch nochmal, dass für dich Devness nicht nur sexuell ist, hatten wir auch schonmal besprochen. Ich würde jetzt für mich selbst vermutlich, wenn ich mit meinen Freunden spreche, eher nicht im Detail über meine eigenen sexuellen Vorlieben sprechen, selbst wenn das bei mir vielleicht auch nicht immer Schema F folgt. Aber ich hätte da gar nicht so einen großen Bedarf außerhalb potenzieller Sexualpartner Akzeptanz zu finden. Also ich denke, ich würde mich auch in meinen Freundschaften angenommen fühlen, auch wenn ich jetzt nicht irgendwie mein, ja, mein Innerstes nach außen kehre. Wie wichtig ist dir das denn? Vrauchst du für dich eine breite Akzeptanz in deinem sozialen Umfeld für deine Devness?
Anna: Ja, ich denke es kommt schon sehr drauf an, um wen es geht. Ich meine, es passieren ja deswegen auch Dinge in meinem Leben, die vielleicht dadurch erklärbar sind, und andere Leute fragen sich, wie kommt denn das, dass sie sich jetzt so verhält? Da gibt es jetzt natürlich auch unterschiedliche Betroffenheitsgrade. Also je nachdem, wie eng die Leute mit einem selbst verbunden sind, haben sie natürlich auch mehr oder weniger Fragen. Also jetzt zum Beispiel bei der Familie ist es schon ein ziemlich schwieriges Thema und ich muss schon auch zugeben, dass ich damit relativ lange gerungen hab, also nicht so sehr damit, ob ich das jetzt überhaupt erzähle oder nicht, das hatte ich dann relativ schnell gemacht, weil einfach irgendwie auch klar war, dass ich das jetzt ausleben will und dass ich nicht immer erklären will, warum und wieso. Aber es hatte halt schon auch Folgen. Das ist halt so ein Problem beim Coming-Out, sobald man einmal geoutet ist, kann man es jetzt nicht wieder rückgängig machen. Man kann nicht sagen: Oh, ich probier mal, wie die Leute reagieren und falls es nicht so gut läuft, dann sag ich, ach nee, jetzt doch nicht. Also das funktioniert halt nicht so gut. Das ist dann, wenn es gesagt ist, ist es einmal gesagt und alle Beteiligten müssen dann irgendwie damit klar kommen. Vor allem wenn halt Familienmitglieder damit vielleicht nicht gerechnet haben, vielleicht Eltern oder so, die erstmal diesen neuen Aspekt an ihrem Kind akzeptieren müssen, einfach damit klar kommen müssen, dass diese Person, die sie glaubten, in- und auswendig zu kennen, gar nicht die ist, für die sie sie immer gehalten haben oder zumindest es Aspekte gibt, die ihnen unbekannt waren. Ich glaub, das ist nicht so leicht, das muss erstmal verarbeitet werden und ich habe damals einen Ratgeber zum Thema Coming-Out für homosexuelle Jugendliche gelesen, in dem erklärt war, welche Phasen die Familie dabei so durchlebt und das hat mir geholfen, die Situation besser einzuschätzen, auch wenn es trotzdem noch schwierig war und ich schon auch manchmal Zweifel hatte, ob das jetzt die richtige Entscheidung war. Aber trotzdem denke ich jetzt vom heutigen Standpunkt aus, dass es schon die Richtige war, weil ich mich als Dev jetzt auch nicht verstecken will, erst recht nicht von Menschen, die mir eigentlich nahestehen.
Kjell: Und wie ist das, wenn dir jetzt jemand nicht so nahesteht, hast du da auch das Bedürfnis da das transparent zu machen, das zu benennen, oder ist dir das wirklich nur bei Leuten, die dir näher sind, wichtig?
Anna: Ja, also bei flüchtigen Bekanntschaften habe ich normalerweise nicht das Gefühl davon berichten zu müssen, gerade auch, weil ich die ja dann auch nicht so gut kenne und ihre sexuellen Vorlieben auch nicht. Manchmal kommt es dann trotzdem zu komischen Situationen, weil halt die Leute normalerweise immer annehmen, dass man so auf die Nullachtfünfzehn Muskelpaket-Männer steht, auf die einfach viele Frauen stehen, und das dann teilweise einfach so eine Common Knowledge, angenommene Gesprächsgrundlage ist. Grundsätzlich hätte ich jetzt kein Problem damit, irgendwie beiläufig zu erwähnen, dass das bei mir nicht so ist, aber eigentlich gibt es in den meisten Fällen auch einfach gar keine Veranlassung dazu.
Kjell: Also wenn ich das jetzt mal aus der anderen Perspektive betrachte, auf der Grundlage meiner Beziehungen mit Devs, dann stell ich zumindest fest, dass ja auch mein Umfeld ein Stück weit darauf reagiert, dass ich da jetzt mit jemanden zusammen bin. Ich glaube, in den allermeisten Fällen, da hab ich jetzt auch nochmal drüber nachgedacht, bekommen die das im Zweifel gar nicht so mit, dass da jemand Dev ist. Und das ist jetzt auch nichts, was ich irgendwie an die große Glocke hängen würde, aber natürlich jetzt im engeren Freundeskreis habe ich es tatsächlich auch schon mal erzählt in der Vergangenheit. Und das war ganz interessant. Also die Reaktionen waren auf der einen Seite eine große Akzeptanz, also im Sinne von einem sehr positiven Blick darauf, zu sagen, ok, das ist ja toll, dass es da auch Menschen gibt, die jetzt zu etwas, was andere vielleicht als Einschränkung sehen würden, sich hingezogen fühlen und dadurch das was Positives wird. Das war aber glaube ich auch schon eine gewisse Reife, die ich dadrin hatte, als ich das so erklären konnte. Teilweise gab es auch Reaktionen, wie so ein gewisser Unglaube, dass also Leute das nicht so richtig einordnen konnten oder auch gesagt haben, das finde ich jetzt irgendwie seltsam. Wo ich dann auch gedacht hab, man muss das vielleicht nicht jedem erzählen. Und insbesondere bei meiner Familie würde ich jetzt selbst für mich, glaub ich, anders als du, Anna, entscheiden, die müssen das nicht wissen. Die müssten von mir auch nicht wissen, was jetzt genau für sexuelle Vorlieben meine Partnerin hat und meine eigenen auch nicht. Ich glaub, das würde ich für mich behalten und wahrscheinlich, zumindest aus meiner Sicht, müsste ich diese Dimension, da ist jetzt jemand wegen meiner Behinderung mit mir zusammen, gar nicht unbedingt, zumindest im Familienkreis, erzählen. Gleiches gilt für mich für Bekannte und auch Kollegen, wo ich jetzt denken würde, naja, das ist jetzt vielleicht nichts, was die unbedingt notwendigerweise wissen müssen.
Anna: Wir hatten ja schon mal drüber gesprochen, dass du mit Assistenz lebst. Und wenn die Assistenten viel mitbekommen aus deinem Leben, kann ich mir vorstellen, dass da das vielleicht auch mal zur Sprache kommt. Hast du das Gefühl, dass du das irgendwie aktiv verstecken musst?
Kjell: Aktiv nicht nein. Aber genauso wie jetzt auch mit Bekannten, Kollegen würde ich jetzt sagen, das ist nichts, was ich irgendwie vor mir ja hertrage und allen Leuten erzählen muss. Ich denke auch dort ist es tatsächlich von außen gar nicht so offensichtlich, dass es da um Attraktion zu Behinderung geht. Wie sollte man das von außen erkennen? Ich denke, wenn man mich mit einer Partnerin beobachtet, wenn man da jetzt nicht irgendwie jeden Satz verfolgt und ganz genau hinschaut, dann würde man wahrscheinlich einfach davon ausgehen, das sind halt zwei Leute, die sich füreinander interessieren und warum sollte das auch nicht so sein. Ich denke, damit Menschen das so einordnen können und sagen können, Oh, das ist ja vielleicht eine Dev, müssten sie dieses Konzept im Zweifel erstmal kennen und zumindest in den Reaktionen, die ich in der Vergangenheit immer darauf bekommen habe, und auch die Reaktionen, die ich an der einen oder anderen Stelle auf unserem Podcast mitbekommen habe, ist das jetzt etwas, was nicht jedem sofort eingängig ist, dieses Konzept. Dass es eben Leute gibt, die auf Behinderte stehen, das ist ja nicht irgendwas, was man jetzt so im Nullachtfünfzehn-Beziehungsratgeber lesen kann oder was irgendwie im Schul-Unterricht vermittelt wird, dass das so ist. Ich glaube aber im Zweifel, wenn jetzt meine Assistenten das mitbekommen würden, wäre es mir auch relativ egal, ich erwarte da speziell in diesem Thema einen gewissen professionellen Umgang einfach auch damit, genauso wie ich ja auch bei anderen Dingen, die ein Assistenten dann notwendigerweise mal mitbekommt, erwarten würde, dass die Leute damit professionell umgehen. Bei diesem Thema, dass das Konzept nicht jedem bekannt ist, würde mich doch mal interessieren, Anna, wie gehst du denn eigentlich damit um, wenn du Behinderte triffst. Erzählst du denen, dass du ne Dev bist?
Anna: Ja, das ist schon noch eine schwierigere Frage also ich glaube gerade wenn das jetzt keine engeren Freundschaften sind, ist es so ein bisschen wie die generelle Frage: Sagt man denn seinen Freunden oder Bekannten, wenn man sie attraktiv findet? Also das ist ja schwierig. Ich glaube, wenn man die Antwort auf diese Frage kennt und die ist sicher individuell, dann weiß man auch, ob man als Dev sein Coming-Out vor Bekannten mit Behinderung, also solchen, die man jetzt einfach mal zufällig kennengelernt hat, wagen sollte. Ich bin da ein bisschen hin- und hergerissen, weil einerseits fühlt es sich manchmal so an, als würde ich dann bewuss t etwas verheimlichen, wenn ich es nicht erzähle, vor allem vielleicht, wenn diese Person eigentlich eine starke Meinung zur Existenz von Devs haben, muss allerdings dazu sagen, dass das eigentlich noch nie vorgekommen ist. Entweder taucht das Thema, wie du gesagt hast, halt gar nicht auf. Die Leute wissen gar nichts von dem Konzept oder man spricht halt nicht drüber. Andererseits würde ich jetzt auch sagen, spielt es ja für diejenigen auch gar keine große Rolle. Es ist jetzt nicht so, dass ich dann sabbernd neben denen herlaufe oder so. Also ich hab in den Fällen schon beides gemacht, also mit und ohne Coming-Out und es war jetzt kein großer Unterschied, den ich da gemerkt habe.
Kjell: Ja, ich könnte mir vorstellen, dass wenn du mitten durch die Fußgängerzone sabbernd neben jemandem herläufst, das dann vielleicht auch so ein recht öffentliches Coming-Out dann ist, zumindest für diejenigen, die das Konzept Devness kennen. Ja, tatsächlich kann ich das nachvollziehen. Einerseits habe ich das Gefühl, dass ich ganz gerne wissen wollen würde, wenn jetzt jemand aus einem sexuellen Interesse, aus einer sexuellen Motivation in meiner Nähe sein will, einfach auch damit ich das entscheiden kann, ob ich das gerade möchte, aber andererseits denke ich auch, das ist ja nichts, was mich in irgendeiner Form tangiert. Wenn jetzt jemand heimlich bei meinem Anblick in sich hinein sabbert, das ist ja auch irgendwie ganz normal, dass sich in Freundschaften und Bekanntschaften auch manchmal sexuelle Attraktion entwickelt. Daher, denke ich, ist dieser normale Mechanismus vielleicht auch wieder etwas, wo ich jetzt sagen würde, das ist vielleicht jetzt nicht devness-spezifisch, behinderungs-spezifisch wie auch immer man das jetzt nennen will, sondern einfach so ein ganz normaler sozialer Mechanismus, dass man nicht durch die Welt geht und jedem sagt: Oh, ich finde dich total heiß. Das kann ja auch manchmal nicht so sozialadäquat sein. Was mich nochmal interessieren würde, wie ist es denn für dich, wenn du jetzt dir mit jemandem näher kommst und das über eine Freundschaft hinausgeht? Hast du einen Punkt in so einer Beziehung oder Beziehungsanbahnung, wo du für dich weißt: Hier sage ich es jemandem auf jeden Fall?
Anna: Also hier wäre ja nochmal zu unterscheiden zwischen ja potenziellen Partnern mit und ohne Behinderung. Ich habe ja früher auch Partner ohne Behinderungen gehabt und den hab ich es immer gesagt, zumindest ab dem Zeitpunkt, wo es mir selbst klar war. Es war erst relativ spät, beziehungsweise erst nach meinen ersten Beziehungen, das hatte ich ja schon gesagt. Von daher gab es auch vorher welche, denen ich das nicht sagen konnte, weil ich es einfach noch nicht so genau wusste. Ich hätte aber sonst auch das Gefühl, jetzt was Wichtiges zu verstecken und das hatte ich damals auch. Deswegen hab ich es denen auch allen gesagt. Die hatten keine Probleme damit. Aber das Thema kam trotzdem schon immer mal wieder auf mit dem einen oder anderen, vor allem bezüglich der Sexualität, die dann irgendwie trotzdem schwierig war. Das hatte ich ja dann auch angekündigt, aber man weiß dann vielleicht auch nicht so genau, was man erwarten kann. Und die Partner mit Behinderung, die wussten es größtenteils schon vor dem eigentlichen Kennenlernen, weil das fast alles Online-Bekanntschaften waren. Wenn ich jetzt jemanden online treffe, dann bin ich einfach entweder sowieso, weil es schon jetzt offen dasteht oder weil ich es halt gleich sage, immer schon geoutet. Ich meine, man muss auch sagen, das trifft längst nicht auf alle Devs zu, also es gibt auch genug, die das jetzt nicht so öffentlich machen, aber für mich ist das eigentlich ein ganz guter Filter. Wenn man das in meinem Profil liest, zum Beispiel auf Dating-Plattformen, dann kann derjenige, der das liest, ja selbst entscheiden, ob jetzt das was für ihn ist oder nicht. Da ist es jetzt jemanden, den man im echten Leben kennenlernt, davon zu erzählen, das ist schon nochmal eine andere Hausnummer, würde ich sagen. Meinen ersten beiden Bekanntschaften aus dem echten Leben sozusagen hab ich es damals nicht erzählt, obwohl es bei beiden tatsächlich flirten und mehr involviert war. Aber das war halt einfach noch so am Anfang und ich wusste nicht so genau, wie man damit umgeht und später hatte ich dann aber mehr Übung. Und da gab es auch mal die eine Situation, dass ich sogar einen Mann mit Behinderung, den ich nur vom Sehen kannte, also ich hatte den paar Mal gesehen, hab ich dann einfach mal angesprochen. Das war also auch so eine einmalige Situation, glaube ich, wir haben dann Nummern getauscht und dann habe ich es auch direkt beim ersten Treffen erzählt, also beim ersten geplanten Treffen, als wir auf seine Behinderung zu sprechen gekommen sind. Und er war schon ziemlich geplättet aber nachher auch positiv überrascht. Also so gesehen war es eigentlich eine gute Coming-Out-Erfahrung, auch ohne die Online-Vorwarnung.
Kjell: Ja, wir hatten ja eingangs schon gesagt, das kann natürlich auch mal passieren, dass es nicht so positiv läuft, da wär jetzt meine Frage, wie du damit umgehst, wenn du dich jemanden gegenüber outest, dich erklärst und dann da sowas zurückkommt wie: Ja, das finde ich jetzt aber blöd, oder damit kann ich jetzt irgendwie gar nichts anfangen.
Anna: Das ist auch unabhängig von der Personengruppe. Na, es gibt immer mal wieder Menschen, die das ablehnen, selbst dann, wenn sie eigentlich selber gar nicht betroffen sind. Es gibt manchmal auch Menschen, die der Meinung sind, dass das was ist, was man therapieren müsse, was ja in mir immer so eher unschöne Erinnerungen an eine Zeit hervorruft, in der man ja auch versucht hat, Homosexualität oder andere sexuelle Vorlieben zu therapieren und wir wissen ja, wie erfolgreich das ist. Es gibt da, glaube ich, zwei Strategien. Also meine war immer eher die innere Stärke, so diese “Krone richten, weitermachen”-Mentalität. Also es muss ja niemand gut finden, dass ich eine Dev bin oder was meine sexuellen Vorlieben sind, außer mir und meinem Partner. Und alle anderen, die können das verurteilen, aber nachher hat das jetzt gar nicht so viel Einfluss. Klar, das erfordert viel Selbstbewusstsein und das hat man vielleicht nicht immer, vor allem wenn man ja gerade frisch geoutet ist oder wenn man gerade mehrere Personen im näheren Umfeld hat, die das ablehnen. Die zweite Strategie wäre, dass man sich halt erklärt oder noch besser zeigt, dass es nichts Schlimmes ist und idealerweise auch, falls man einen Partner hat, dass der das weiß und dass er damit einverstanden ist oder vielleicht sogar mehr als das, dass er das irgendwie gut findet und dass man irgendwie zeigen kann, dass gerade diese Behinderung jetzt nicht nur eine Einschränkung ist, sondern dass man damit auch ein gutes Leben hat. Auch eben, dass es keine aktive Entscheidung ist, eine Dev zu sein, weil ich meine, ich hab mir das ja auch nicht ausgesucht, das ist einfach so gekommen. Wenn man dann zeigt, dass man verantwortungsvoll damit umgehen kann, hilft das vielleicht auch. Nicht immer, muss man auch sagen, also in meiner Erfahrungen gibt es auch Kontakte, bei denen jetzt alle Erklärungen da auch nicht so viel weiterhelfen, aber insgesamt wäre es natürlich trotzdem schön, wenn es da weniger Ablehnung geben würde, also sowohl für Devness, es aber vor allem auch für interabled Beziehungen. Darüber haben wir auch schon ein paar Mal gesprochen und ich glaub nicht zuletzt dafür machen wir ja hier auch den Podcast, um so ein bisschen zu erzählen nd den Nebel zu lichten.
Kjell: Ja vielleicht auch ein Stück weit die Furcht zu nehmen, sich mit diesem Thema mal zu beschäftigen. Ich hab da in dem Zusammenhang eine kleine These. Ich denke immer, weil Behinderung in gewisser Weise außerhalb der Norm liegt, ist deshalb automatisch auch Devness außerhalb der Norm. Es ist einfach etwas, was im Alltag vieler Menschen einfach nicht vorzukommen scheint. Gleichzeitig überwiegt so eine negative Sichtweise auf Behinderung im Alltag vieler Menschen, gerade auch im Alltag von Behinderten selbst überwiegt eine negative Sichtweise auf Behinderung. Du hast jetzt gerade gesagt, man kann mit Behinderung auch ein tolles Leben führen, und ich kenne gleichzeitig Leute, die das möglicherweise nicht sofort unterschreiben würden. Und ich denke, mit dieser negativen Sichtweise auf die eigene Behinderung fällt es dann auch ungleich schwerer anzunehmen, dass es da draußen jemanden gibt, der das vielleicht nicht alles negativ sieht und daran auch irgendwie positive Seiten sieht. Deshalb denke ich, dass es eine gewisse Selbstakzeptanz auch braucht für Menschen mit Behinderung. Dass sie ihre eigene Behinderung als einen integralen Teil ihrer selbst ansehen. Das geht vielleicht so ein bisschen in die Richtung dessen, was du beschrieben hast, dass du auch dich selbst akzeptieren musstest, so wie du bist und ich denke, dass es auch für viele Menschen mit Behinderung wichtig ist, dass sie das tun, um dann im nächsten Schritt überhaupt Devness annehmen zu können als Konzept. Weil wenn ich mich selbst und meine Behinderung als etwas ausschließlich Negatives sehe, dann ist es eigentlich unmöglich, eine Perspektive einzunehmen, in der ich da etwas Positives drin finde. Ich denke, dass diesen Prozess, den auf der individuellen Ebene jeder für sich durchlaufen muss, um das irgendwie annehmen zu können und als etwas wertschätzen zu können, was eben da ist, und so muss dieser Prozess eigentlich auch das soziale Umfeld von den Leuten durchlaufen. Wenn ich jetzt umgeben bin von Menschen, die meine Behinderung als ausschließlich ein Defizit wahrnehmen, dann wird es schwer sein mit diesem Umfeld darüber zu reden, dass ich jetzt hier eine Partnerin habe, die sich jetzt als Dev geoutet hat.
Anna: Vielleicht spielt da auch noch der Aspekt dieses Schutzbedürfnisses eine Rolle, also, dass Menschen manchmal den Eindruck haben, dass Menschen mit Behinderung geschützt werden müssen vor den Gefahren dieser Welt und Sexualität gehört da auch noch mit dazu. Und deswegen kann es jetzt natürlich keine Leute geben, die genau das attraktiv finden und die armen Behinderten werden doch dann ausgenutzt. Also solche Gedanken sind mir da durchaus mal begegnet.
Kjell: Das wär für mich aber auch was, was ich sehr kritisch sehen würde, denn dahinter steckt ja so eine gewisse Infantilisierung von Menschen mit Behinderung. Man spricht ihnen damit ja quasi die Fähigkeit ab, für sich selbst Entscheidungen zu treffen und zu rationalen Einsichten zu kommen. Jetzt ist das vielleicht nochmal eine Frage, ob man da eine körperliche oder eine geistige Behinderung hat, da kann das vielleicht auch nochmal unterschiedliche Perspektiven darauf geben, aber ich denke gerade wenn wir über Menschen sprechen, die eben in der Lage sind, eigenverantwortlich Entscheidungen für sich selbst in vollem Umfang zu treffen, die Konsequenzen zu überblicken, dann ist es aus meiner Sicht sehr, sehr kritisch, die mit so einem Ansatz zu betrachten und zu sagen: Eigentlich behandeln wir die wie Kinder, die die Konsequenzen ihres Handelns nicht absehen können. Ich denke, das ist wirklich eine Sicht, bei der wir auch gesellschaftlich noch ein paar Schritte vor uns haben.
Anna: Ja, da stimme ich dir total zu. Um noch mal auf diesen Aspekt des Andersseins zurückzukommen: Im Gegensatz zu Menschen mit Behinderung sieht man uns Devs ja jetzt nicht an, was bei uns anders ist. Deswegen stehen wir, glaube ich, immer wieder vor der Frage, wem erzählen wir es jetzt und wem nicht. Und ist es überhaupt wichtig, geoutet zu sein? Man ist ja nie fertig damit. Also es gibt ja immer wieder neue Menschen im Leben, die man vorher nicht kannte und die das nicht darüber wissen und ich hab zumindest die Erfahrung gemacht, dass ich mir dann immer wieder die Frage stelle: Mach ich das jetzt? Ist es jetzt wichtig, in der Situation geoutet zu sein? Und vor allem, wenn man dann auch noch einen behinderten Partner hat, steht man ja nochmal von einer anderen Art von Outing, um neuen Menschen im Leben zu erzählen: Übrigens, mein Partner sitzt im Rollstuhl.
Kjell: Ja, das ist ganz interessant, quasi gegenüber der Familie oder auch Freunden zu eröffnen, dass man einen Partner im Rollstuhl hat. Mir persönlich fällt das jetzt ein bisschen schwer, das mit dem Begriff Outing zu verbinden, weil das ja so klingt wie: Das ist etwas, was normalerweise verborgen sein sollte. Ich denke, Partner haben ganz viele unterschiedliche individuelle Eigenschaften, die gehen los bei persönlichen Merkmalen wie jetzt Hautfarbe, Geschlecht, Herkunft, Religion, Behinderung und gehen weiter über Interessen und vielleicht irgendwie Lieblingsfarbe und Lieblingsessen und ganz viele Dinge, die man über einen Partner wissen kann, aber nicht notwendigerweise muss. Und für mich wäre es an der Stelle wahrscheinlich einfach sinnvoll zu sagen: Ich rede ganz offen über die Dinge, die meinen Partner für mich ausmachen und entscheide vielleicht auch ein Stück weit situativ, was erzähl ich jetzt Leuten. Am Ende denke ich, dass Behinderung da kein Merkmal sein sollte, was jetzt irgendwo eine riesengroße Sonderstellung bedingt, wenn ich mit Menschen über meinen Partner oder über meine Partnerin spreche. Zumindest würde ich das jetzt nicht forcieren. Was ich mitbekommen habe, ist, dass wenn meine Partnerin das erzählt haben, dass es da vielfach so auf Interesse oder auch Neugierde stieß und vielleicht auch erstmal so eine gewisse, vorsichtige Neugierde, die sich vielleicht auch manchmal in Unsicherheit ausgedrückt hat, oder in einer gewissen, aber vielleicht auch einfach so ein bisschen sich angefühlt hat wie Ablehnung, aber eigentlich eher ein: Ichverstehe noch gar nicht so ganz genau, was das für mich jetzt bedeutet und würde es aber eigentlich gerne erklärt bekommen. In so eine Richtung ging es eben immer. Deshalb denke ich, dass es, wenn man darüber spricht, gut ist, einfach davon auszugehen, dass die anderen Leute das im Zweifel einfach ein bisschen erklärt bekommen möchten und das als Konzept in ihrem Leben irgendwie verstehen müssen: Was heißt denn das jetzt? Gerade wenn sie, und das hast du auch von dir selber am Anfang gesagt, noch nicht so viel in der Vergangenheit mit Menschen mit Behinderung zu tun hatten. Dann ist es halt erstmal ungewöhnlich. Auf der anderen Seite denke ich, es ist auch total ungewöhnlich, wenn vielleicht jetzt jemand in einer Familie, die bisher noch nie aus der näheren Umgebung ihrer Kleinstadt rausgekommen ist, vorbeizukommen und zu sagen: Ich habe jetzt einen Partner aus Australien. Das ist vielleicht auch in einer ähnlichen Weise etwas, was einfach mal ganz neu ist für dieses Umfeld und wo das Umfeld dann auch einfach ein bisschen Unterstützung dabei braucht, es einzuordnen, das zu verstehen und zu überlegen, was heißt denn das jetzt für mich.
Anna: Und ganz unabhängig von der Reaktion kann ich jetzt, um das vielleicht nochmal zusammenzufassen, schon sagen, dass es in meiner Erfahrung ein tolles Gefühl ist, geoutet zu sein und es ist einfach befreiend und es tut halt gut, man selbst zu sein. Und ich denke, das sollte sich jeder erlauben dürfen.
Kjell: Mit dieser Zuversicht haben wir, glaube ich, auch für dieses nicht immer einfache Thema aus meiner Sicht den richtigen Schlusspunkt gefunden. Ich hoffe, dass wir vielleicht auch den einen oder anderen von euch da draußen ermutigen konnten, sich da mal entweder mit der eigenen Behinderung oder der eigenen Sexualität noch etwas offener auseinanderzusetzen. Schreibt uns auch gerne mal bei Twitter, Facebook oder auf rollirotik.com, welche Erfahrungen ihr damit habt. Und wenn ihr noch welche machen wollt, freut euch mal auf die nächste Folge, in der wir über Dating und Kontakte sprechen werden. Bis dahin!
Anna: Darauf freue ich mich schon! Bis dann, tschüss!