Anna und Kjell unterhalten sich über ihre Erfahrungen mit Reaktionen aus dem persönlichen Umfeld auf interabled Beziehungen.
Transkript
Anna: Hallo und herzlich Willkommen zu Rollirotik, dem Podcast zu Sexualität und Behinderung. Ich bin Anna und Kjell ist auch wieder dabei.
Kjell: Hallo, schön, dass ich wieder da sein darf, worüber sprechen wir denn heute, Anna?
Anna: Beim letzten Mal hatten wir ja über die logistischen und emotionalen Besonderheiten von interabled Beziehungen gesprochen. Das ist ja eher die Innensicht gewesen. Also die Sicht von Personen, die wirklich Teil dieser Beziehung sind. Heute würden wir darüber sprechen, wie sich das ganze Thema für Außenstehende darstellt. Das heißt für dritte Personen, die nicht Teil der Beziehungen sind, aber vielleicht auch eine Meinung darüber haben. Kjell und ich haben da beide einige Erfahrungen aus unseren bisherigen Beziehungen gesammelt und ich würde vorschlagen, wir fangen einfach mal mit dem sprichwörtlichen Elefanten im Raum an – der Familie.
Kjell: Der Elefant im Raum? Das ist für dich also ziemlich großes Thema, oder, Anna? Ich kann mir da ganz viele Reaktionen vorstellen, wenn du einen Partner mit Behinderungen hast oder wenn du den deiner Familie vorstellst, was ist denn da deine Erfahrung?
Anna: Da gab es durchaus viele Reaktionen, das könnte man schon so sagen und ich glaube, die meisten Reaktionen waren einfach von einer sehr großen Unsicherheit geprägt. Also klar, zuerst muss man mal sagen, das ist eine unerwartete Situation, in die die Familie da erstmal reingeworfen wird. Damit hatte niemand gerechnet. Ja, man erwartet jetzt vom Kind wahrscheinlich nicht, dass es einen Partner mit Behinderung nach Hause bringt. Zumindest hat man sich das vorher nicht so vorgestellt als Familie und ich glaube, da spielt auch ganz viel so eine Angst mit rein. Dass es Kind zu schwer haben könnte im Leben, indem es sich einen Partner mit Behinderung aussucht, ist dann eben die Annahme. Und die fußt ja nicht auf Wissen, sondern einfach erstmal auf quasi einem Vorurteil, dass das Probleme mit sich bringen wird im Leben, die halt dann irgendwie gelöst werden müssen und dass es doch viel einfacher und angenehmer wäre, wenn man die nicht hätte. Genau, ich glaube, da ist wie gesagt dieses Unwissen ein ganz zentraler Faktor, weil die meisten Menschen einfach vorher auch gar keine Berührungspunkte mit Menschen mit Behinderungen hatten. Sie können sich also nicht so richtig vorstellen: Wie wird denn das alles funktionieren? Was gibt es denn da für Einschränkungen? Und das Ganze ist eine eher defizitorientierte Sicht. Zuerst wird dann der Partner wahrgenommen als jemand “Ok, der hat eine Behinderung was geht denn jetzt alles nicht?” Das war so eine Reaktion und ich glaube, eine andere Reaktion ist auch ein bisschen die Angst um den eigenen Stand in der Gesellschaft. Man stellt sich dann so vor, man kommt als Familie und da ist jetzt dieser neue Partner, der – in dem Fall – Tochter dabei und der hat eben eine sichtbare Behinderung. Was bedeutet das denn jetzt für mich persönlich, als Familie? Komme ich damit klar? Und ich kann mir vorstellen, dass es eben gerade in eher konservativ orientierten Gegenden schwierig ist, das so in das eigene Weltbild mit aufzunehmen und eben zu akzeptieren. Andere sehen mich dann auch so und sehen diesen neuen Partner eben als Teil der Familie. Und ich glaube einfach, aus diesen beiden Punkten erwächst manchmal – und das war bei mir auch so der Fall – ein gewisses Unverständnis, dass man sich sagt: okay, ich kann jetzt diese Entscheidung nicht so richtig gut nachvollziehen. Warum hast du dir denn jetzt hier genau diesen Partner ausgesucht? Das ist wahrscheinlich auf den ersten Blick erstmal eine relativ schwierige Reaktion, gerade wenn man frisch verliebt ist und so stolz ist auf den eigenen Partner und das Gefühl hat “Mensch, ich will den jetzt der ganzen Welt zeigen und guck mal, was ich hier für einen tollen Partner habe.” Und das ist ja auch, kann ich mir vorstellen, für den Partner nicht unbedingt eine Idealvorstellung so begrüßt zu werden in der neuen Schwiegerfamilie sozusagen. Kjell, was sind denn da deine Erfahrungen?
Kjell: Ja, so aus der anderen Perspektive muss ich sagen hab ich wahrscheinlich zumindest am Anfang von neuen Beziehungen sehr positive Erfahrungen gemacht. Also, es war zumindest von dem, was ich dann so mitbekommen habe, nie so, dass ich da irgendwie negativ begrüßt wurde oder irgendwie verhalten begrüßt wurde. Es war dann eher so, dass man merkte, da sind Leute vielleicht ein bisschen unsicher im Umgang. Aber das ist ja für mich irgendwie auch norma. Wenn ich neue Leute treffe, das passiert immer mal wieder, dass dann Menschen nicht so ganz genau wissen, wie sie jetzt mit mir am besten umgehen. Ich bringe sie dann vielleicht so ein bisschen aus ihrer Komfortzone, was Erwartungen anbelangt und ich könnte mir vorstellen, gerade wie du das gesagt hast, Anna: Wenn es dann irgendwie ums eigene Kind geht und man da vielleicht so eine Idealvorstellung im Kopf hatte und dann sieht es irgendwie in der Realität anders aus. Da sehe ich auch irgendwie ganz viele Parallelen zu Leuten, die da vielleicht irgendwie Partner mit einem anderen Geschlecht, einer anderen Hautfarbe, irgendwie anders gearteten Identität mit nach Hause bringen und das matcht dann nicht so ganz mit den Erwartungen der Familie. Trotzdem ist es zumindest – wie gesagt, meine persönliche Erfahrung – immer so gewesen, wenn man über diesen initialen Überraschungseffekt hinweg ist, dass dann das eigentlich sehr positiv funktioniert. Gleichzeitig, nach dem Ende einer langjährigen Beziehung, die ich hatte, hatte ich schon einmal den Eindruck, dass ich da nicht immer positiv gesehen wurde. Dass dann so im Nachhinein zumindest aus den weiteren Familienumfeld der ehemaligen Partnerin doch so eine negative Sichtweise dazukam, so nach dem Motto: Na ja, mit dem Kjell, das hätte ja sowieso irgendwie nicht funktioniert auf lange Sicht. Dafür hat es dann eigentlich erstaunlich lange funktioniert. Vielleicht ist es dann doch irgendwie eher im Rückblick ein bisschen negativer gesehen worden als es in der Situation war. Wie würdest du das denn machen, Anna, wenn jetzt aus deiner Familie eine negative Reaktion kommt auf deinem Partner, würdest du das dem Partner sagen wollen, gehst du damit offen um?
Anna: Das ist eine gute Frage. Es gibt ja da zwei Seiten. Einerseits könnte man sagen ok, man will auf jeden Fall ehrlich sein und möchte die Karten auf den Tisch legen. Andererseits können das ja manchmal auch schon teilweise unbegründete, teilweise begründete Vorwürfe sein, die auch verletzend sein können. Also, würdest du es denn wissen wollen?
Kjell: Ja, auf jeden Fall, ich kann damit umgehen, würde ich sagen und dann ist es mir lieber, wenn ich es weiß und dann irgendwie auch vielleicht etwas damit tun kann und in der aktiven Rolle bin, als dass ich es dann irgendwann mal durch Dritte oder auf irgendeinem Wege erfahre und so das Gefühl hab, ich hab da die ganze Zeit so eine Art ja falsche Realität vorgesetzt bekommen.
Anna: Ja, das kann ich nachvollziehen, Ehrlichkeit ist vielleicht da auf jeden Fall auch der bessere Weg. Aber jetzt abgesehen von der Familie des nichtbehinderten Partners, gibt es ja auch noch die Reaktion aus der anderen Perspektive, also die Familie des behinderten Partners. Haben denn da deine Eltern Angst gehabt, dass du als behindertes Kind oder als behinderter Sohn in dem Fall keinen Partner findest?
Kjell: Habe ich so tatsächlich nicht erlebt. Von daher: Ich kann jetzt natürlich nur so von meiner Außensicht sprechen. Ich kann nicht in die Köpfe meiner Eltern schauen, aber wie gesagt, so diese Angst direkt hab ich so nicht gespürt. Das einzige, was vielleicht mal gab, war so eine ja fast überraschte Reaktion, wenn ich mal von einer festen Beziehung gesprochen habe. Also eher so eine freudige Überraschung, wie eine Hoffnung, die erfüllt wird, oder ein Wunsch, den man lange Zeit hatte, und man eigentlich nicht damit gerechnet hat, dass es passiert, aber es sich irgendwie schon erhofft hat. Und von daher eigentlich eher an eine positive Überraschung würde ich sagen.
Anna: Wenn sie sich so sehr gefreut haben, haben sie vielleicht auch das Gefühl gehabt, sie wollen jetzt auch ein bisschen was dazu beitragen, um sicherzugehen, dass die Beziehung dann auch hält. Und hattest du irgendwie das Gefühl, dass sie dann mehr Teil der Beziehung sein wollten als es vielleicht normalerweise der Fall wäre um vielleicht die Behinderung zu kompensieren?
Kjell: Also ich muss sagen, ich achte ja sehr darauf, dass ich so meine persönliche Sphäre ein bisschen schütze und meine Familie nicht unbedingt immer in allen Aspekten meines Privatlebens zu haben. Von daher, selbst wenn meine Familie das irgendwie gewollt hätte oder versucht hätte – ich glaube, da hätte ich sie einfach nicht gelassen. Von daher hab ich so nicht erlebt, nein.
Anna: Ok, aber als es dann sozusagen zu einer Beziehung gekommen ist, hattest du da mal oder haben sie dann mal so reagiert, dass sie gesagt haben, dass sie vielleicht Angst haben, dass es nicht hält, wenn der Partner merkt, wieviel Arbeit sozusagen das alles ist? Oder wenn der Partner dann vielleicht doch jemanden vermeintlich Besseres findet, der jetzt keine Behinderung hat?
Kjell: Also natürlich waren meine Eltern dann traurig, wenn so eine Beziehung nicht funktioniert hat. Gerade wenn sie dann die Partnerin auch mal kennengelernt hatten oder vielleicht auch über eine längere Zeit viel mit der zu tun hatten. Aber ich hab das nie so auf die Behinderung gemünzt. Ich glaube nicht, dass es damit im Kern was zu tun hatte. Das war eher so ein ehrliches Bedauern, dass da halt eine Beziehung nicht funktioniert hat, aber dass das jetzt irgendwie mit der Behinderung zu tun hätte – ist auch eigentlich jetzt nichts gewesen, was da mal irgendwie zur Sprache kam und ich glaube auch nicht, das ist irgendwo implizit in den Köpfen meiner Familie war, dass das jetzt darauf zurückzuführen ist.
Anna: Es gäbe ja auch noch viele andere Gründe, warum so eine Beziehung jetzt nicht funktioniert, ganz unabhängig von der Behinderung.
Kjell: Genau das ist auch so mein Takeaway davon und ich hab immer den Eindruck: Ja, das ist ein Aspekt, die Behinderung, aber jetzt sicherlich nicht die Erklärung für alles und jedes und das hatte ich auch schon mal ein anderer Stelle mal gesagt. Ich glaube, damit macht man es sich dann gerade als Mensch mit Behinderung auch ein bisschen zu einfach, wenn man immer alles durch die Behinderung oder mit der Behinderung oder mit den Reaktionen anderer auf die Behinderung erklären will. Manchmal zerbrechen Partnerschaften eben oder Beziehungen. Und ich glaube, dann geht es fast allen Eltern so, dass sie dann einfach auch merken, wenn das Kind dann da irgendwie unzufrieden mit der Situation ist und traurig ist, dass die Beziehung zerbrochen ist, dass man dann auch einfach ein bisschen mitfühlt. Ich denke nicht, dass es jetzt zumindest in meinem Fall irgendwie treibender Faktor war. Aber vielleicht nochmal ein anderer Aspekt: Im privaten Umfeld gibt es neben der Familie ja auch noch Freunde und Bekannte. Anna, wie ist denn das bei dir mit den Reaktionen, wenn du da auf einmal mit dem Partner mit Behinderung ankommst in deinem Freundeskreis?
Anna: Also ich muss sagen, dass es mittlerweile tatsächlich relativ viele meiner engeren Freunde wissen, dass sie bei mir jetzt nicht mit einem Partner ohne Behinderung rechnen müssen. Also das hab ich dann alles irgendwann auch schon mal erzählt. Gerade auch wenn man jetzt sagt “Okay, beim ersten Partner mit Behinderung, das könnte ja noch Zufall sein”, aber sobald dann der Zweite oder Dritte kommt, dann stellen sich die Leute halt schon auch mal Fragen. Deswegen hab ich das dann eigentlich auch erzählt mit der Devness, dass ich eine Vorliebe dafür habe. Deswegen sind die Reaktionen da inzwischen ganz normal. Früher war das nicht immer so. Also gerade zu den Zeiten, wo ich jetzt angefangen habe, Partner mit Behinderung zu daten. Also überraschte Reaktionen gab es dann. Da gab es auch mal die Frage “Naja, Mensch, Anna, so hässlich bist du doch gar nicht. Hat sich denn da kein Partner ohne Behinderung gefunden?” Ja, das ist zum Glück jetzt nicht mehr so und ich glaube, das ist so der erste Schritt, da muss man vielleicht auch erstmal durch und irgendwie den Leuten zeigen: Deine erste Reaktion auf diesen Partner ist vielleicht nicht die angebrachteste. Wie war denn das bei dir? Hast du irgendwelche besonderen Reaktionen im Freundes- oder Bekanntenkreis wahrgenommen?
Kjell: So große Reaktionen darauf, die jetzt das irgendwie als völlig ungewöhnlich darstellen würden, dass ich da auf einmal mit einer Freundin ankomme, habe ich eigentlich nicht erlebt. Also weder in meinem Freundeskreis, noch im Umfeld von meinen Arbeitskollegen – die sind da eigentlich aus meiner Sicht jetzt nicht überrascht gewesen. Bezüglich Devness sind die Reaktionen so in meinem Freundeskreis, wenn ich das mal erzählt habe – das ist jetzt nichts, was ich irgendwie an die große Glocke hänge – aber wenn ich da mal drüber gesprochen habe, dann war jetzt dieser konkrete Aspekt “Oh, da gibt es irgendwie Menschen, die haben eine Vorliebe für Menschen mit Behinderung” irgendwo so zwischen Unglauben, vielleicht auch ein bisschen Berührungsangst. Dass Leute dann mal gesagt haben “Das kann ich mir irgendwie so gar nicht vorstellen, was ist das denn?” Und gleichzeitig auf der anderen Seite, und die Reaktion fand ich besser, so ein “Ja, so what, also jeder hat irgendwie so seine Vorlieben und es ist halt ein breites Spektrum”. Aber so dieses das als selbstverständlich hinzunehmen, sowohl Devness als auch – und das finde ich auch irgendwie sehr positiv – wenn Leute das dann jetzt nicht irgendwie als besonders außergewöhnlich sehen, wenn ich da auf einmal mit einer Freundin ankomme.
Anna: Ja, Kjell, das liegt ja auch vielleicht einfach daran, dass deine Freunde wissen, dass du attraktiv bist und deswegen überhaupt nicht überrascht sind, wenn du dann eine Freundin oder eine Beziehung hast.
Kjell: Da werde ich ja rot.
Anna: (lacht) Aber abgesehen von den Freunden, also Leute, die dich schon kennen, begegnet man ja im Zweifel auch mal Fremden. Wenn man zum Beispiel in der Öffentlichkeit als interabled Paar unterwegs ist und auch da gibt es ja vielleicht die einen oder anderen Reaktionen.
Kjell: Ja, das ist ein guter Punkt, das kann natürlich schnell mal zu etwas kuriosen Situationen kommen. Es gibt glaube ich doch einige Menschen mit Behinderung, die durch Assistenten begleitet werden und wenn mich dann da eine Frau begleitet, dann kann es ja durchaus auch mal zu Verwechslungen kommen. Anna, ist dir sowas mal passiert?
Anna: Also ist mir nicht so passiert, dass jetzt jemand wirklich gefragt hat, ob ich die Assistentin oder noch schlimmer die Betreuerin bin. Allerdings weiß man natürlich nicht, was die Leute die einen sehen, so annehmen und deswegen bin ich eigentlich immer sehr darauf bedacht, dass ich in der Öffentlichkeit bewusst dann, wenn das mein Partner ist, mit dem ich da unterwegs bin, Nähe demonstriere, um jetzt nicht mit einem Assistenten verwechselt zu werden. Also dass ich jetzt zum Beispiel meine Hand da auf seiner Schulter ablege, oder einfach ein bisschen demonstriere: Ja, hier läuft mehr als ein professionelles Verhältnis. Trotzdem besteht ja die Gefahr, dass man vielsagende Blicke zugeworfen bekommt und das erfahre ich auch immer wieder. Also entweder mitleidige Blicke oder bewundernde Blicke, wobei diese Bewunderung wegen der vermeintlichen Aufopferung oder den vermeintlichen Dingen, auf die man verzichtet, wenn man einen behinderten Partner hat, die gefällt mir jetzt eigentlich nicht so und ich würde jetzt lieber auf die Blicke verzichten.
Kjell: Zum Thema Mitleid habe ich gerade erst gelesen, dass in der Vergangenheit in Japan Mitleid als eine Form der Liebe betrachtet wurde. Von daher vielleicht, wenn das dann in Japan passieren würde, hätte das nochmal eine andere Konnotation. Aber ich bin da völlig bei dir, das ist so eine Art von Blicken, auf die man glaube ich durchaus verzichten kann in der Öffentlichkeit.
Anna: Wobei es ja auch irgendwie klar ist, dass es da eine gewisse Unsicherheit im Umgang gibt, also interabled Beziehungen, dazu haben viele keine Berührungspunkte, weil die im öffentlichen Diskurs einfach kaum vorkommen, zumindest bis vor kurzem oder bis vor einigen Jahren. Ich glaube, inzwischen gibt es ein paar Leute, die so öffentlich bekannt sind, die auch ein bisschen dafür Bewusstsein schaffen können. Als Erstes kommt mir da Samuel Koch in den Sinn, dessen Hochzeit mit einer Schauspielkollegin ja doch relativ stark durch die Medien ging, wo jeder jetzt auch über die Behinderung Bescheid weiß, weil sie einfach direkt im Fernsehen passiert ist und auch das stark durch die Medien ging. Aber ansonsten ist es ja so, dass wenn Sexualität und Behinderung sozusagen als Verbindung thematisiert wird, häufig eher auf die Möglichkeit der Sexualbegleitung hingewiesen wird.
Kjell: Ja, es gibt ja diese etwas seltsame Perspektive, dass Behinderte irgendwie per Definition erstmal unattraktiv sind.
Anna: Kann ich gar nicht nachvollziehen.
Kjell: Ich auch nicht, aber, gut, scheint es zumindest zu geben und diese implizite Sicht dadrauf, qua Behinderung, muss man jetzt erstmal eine extra mile gehen, damit es irgendwie für jemanden spannend wird.
Anna: Genau, das zeigt sich auch immer wieder. Als Beispiel könnte man da jetzt nennen die Vox-Sendung “Besonders verliebt” ist jetzt ganz aktuell eine Dating-Show nur für Behinderte oder zumindest vor allem für Behinderte, wo in der Ankündigung von – Zitat – “Liebe auf den zweiten Blick” die Rede war, was ja schon suggeriert, dass eine Liebe auf den ersten Blick für Behinderte nicht in Frage kommt.
Kjell: Das kannst du wahrscheinlich so auch nicht nachvollziehen, oder?
Anna: Nein, kann ich so nicht nachvollziehen, aber trotzdem gibt es halt diese Idee, dass Menschen mit Behinderungen auch in Beziehungen dann unter sich bleiben sollten.
Kjell: Da muss ich ehrlich sagen, ich fände ein Leben mit einer behinderten Partnerin logistisch einfach unglaublich umständlich, also insbesondere, wenn die dann auch stärkere körperliche Einschränkungen hätte. Ich habe immer schon das Gefühl, ich brauch alleine schon sehr viel Organisationsaufwand in meinem Alltag, darüber hatten wir auch gesprochen. Wenn ich mir dann vorstelle, da ist noch jemand, der irgendwie ähnlich hohen Aufwand in der Logistik hat… Kann ich mir irgendwie gar nicht erklären, warum das so eine Art gesellschaftliche Erwartung ist. Aber vielleicht liegt es auch ein Stück weit an diesen, naja, man nennt das immer Sonderwelten für Behinderte, irgendwelche Werkstätten und Heime und dass einfach Menschen mit Behinderungen so im Alltag gar nicht so oft vorkommen und deshalb viele Menschen da auch jenseits von Partnerschaften, also eine gewisse Distanz und wenig Berührungspunkte dazu haben.
Anna: Ja, das kann ich mir gut vorstellen, das erlebt man ja auch immer wieder. Und trotzdem, und das ist ja das interessante, gibt es eigentlich ein riesiges Interesse an dem Thema. Und das kann man unter anderem an der Beliebtheit von Social-Media-Kanälen sehen, die von interabled Paaren gemacht werden und die doch relativ stark in der Öffentlichkeit stehen. Und im englischsprachigen Raum ist da glaube ich das herausragendste Beispiel der Kanal “Squirmy and Grubs”, der wird gemacht von Shane Burcaw und seiner inzwischen Frau Hannah, die eigentlich in ihren Videos erstmal unspektakulärerweise nichts anderes machen als aus ihrem Alltag zu berichten. Und trotzdem haben die da Millionen von Followern, Millionen von Klicks auf ihren Videos. Ein anderes Beispiel wäre Rolling with Charisma and Cole, auch so ein Paar, wo einer der Partner eine Behinderung hat, der andere nicht. Das ist ja doch interessant, also offenbar gibt es ein großes Interesse an dem Thema.
Kjell: Ja, stimmt, du hast dazu ja auch mal einen Blogeintrag geschrieben, auf kissability, glaube ich.
Anna: Ja, genau.
Kjell: Ja, allgemein glaub ich, hast du die Darstellung von dem Thema in Medien ein bisschen besser im Blick als ich.
Anna: Da gibt es aber auch international große Unterschiede. Also wir haben ja gerade über die Vox-Sendung “Besonders verliebt” kurz gesprochen. Das Format ist nicht neu, das ist abgeguckt, sozusagen, von der Sendung aus Großbritannien, “The Undateables”. Die läuft dort sehr erfolgreich in mehreren Staffeln inzwischen und ist beliebt. Bei der deutschen Version kann man das jetzt nicht so sagen. Ich hab gehört, dass die Einschaltquoten nicht so gut waren.
Kjell: Ja, ich hätte da ja mal eine halbwegs steile These. Ich hab immer den Eindruck, dass die Sicht auf Behinderung in Deutschland sehr geprägt ist auch noch durch unsere Vergangenheit und Schuld- und Wiedergutmachungsgefühl. Und dass man aus diesem Grunde gerade Menschen mit Behinderungen in Deutschland häufig so ein bisschen wie rohe Eier behandelt. Mein Eindruck ist zumindest, dass man in UK allgemein nicht so verklemmt ist vielleicht, und der berühmte britische Humor da auch keinen Halt macht vor Leuten, die halt eine Behinderung haben und man allgemein einfach ein bisschen entspannter damit umgeht. Und für mich ist das auch ein Teil davon, mich wirklich als Teil einer Gesellschaft zu fühlen. Wenn ich immer diese Sonderrolle als rohes Ei bekomme, da fühle ich mich nicht unbedingt wohl damit. Aber vielleicht ist das auch nochmal ein Aspekt, der so ein bisschen zu dieser Distanz beiträgt.
Anna: Gleichzeitig ist es ja aber so, dass auch diese sehr erfolgreichen Social-Media-Kanäle mit einer gewissen Sonderbehandlung oder einer gewissen besonderen Bedeutung für die Viewer zu kämpfen haben. Also gerade Squirmy and Grubs, da gibt es im Netz, wenn man da mal schaut, sehr viele Verschwörungstheorien, dass gerade dieses in der Öffentlichkeit stehende Paar nur Geld verdienen möchte damit und dass die gar nicht wirklich zusammen sind, weil die Partnerin, diese Hannah, ist halt wirklich objektiv sehr hübsch und die These der Leute ist dann einfach: Sie ist zu hübsch für ihn. Wie kann sie sich denn so einen Partner aussuchen? Die Folgerungen, die dann die Leute treffen, ist dann einfach: Es muss um Geld gehen. Also er muss sie doch fürstlich entlohnen dafür, dass sie da seine Freundin mimt. Das ist vermutlich totaler Humbug, aber ich muss sagen, dass ich diese “Es-muss-um-Geld-gehen”-Diskussion auch schon selbst erlebt habe. Ich hatte mal die Eltern kennengelernt von einem ehemaligen Partner von mir und eine der ersten Fragen, die mir da gestellt worden sind – ich hab damals noch studiert – war denn, ob es denn sehr teuer ist in dieser Stadt, wo ich studiert habe, zu studieren. Und ich hab mir im ersten Moment gar nicht so richtig Gedanken darüber gemacht, hab dann aber später gemerkt, als es noch so ein paar dieser finanziellen Fragen gab, beim ersten Treffen. Wahrscheinlich haben sich die Eltern, die Familie meines damaligen Partners einfach gedacht: Naja, da kommt hier so eine an, die will jetzt irgendwie Freundin von unserem schwerbehinderten Sohn sein, die muss doch irgendeinen Hintergedanken dabei haben. Das kann doch jetzt nicht einfach sein, dass die den gut findet.
Kjell: Tja, money makes the world go round. Das ist ja auch so ein weiteres Klischee, dass Behinderte für Sex im Zweifel halt zahlen müssen. Du hast das vorhin auch schon erwähnt mit den Sexworkern, das ist so quasi der letzte Ausweg Sexualbegleitung oder halt Sexworker. Ich hab das tatsächlich selbst mal auch in meiner Familie erlebt, dass da – also es war jetzt nicht direkt in der Familie – aber da war so ein Freund der Familie und da kam dann mal eines Abends das Gespräch da drauf. Das ist jetzt schon ein bisschen länger her und das war noch so, bevor ich meine etwas festeren Beziehungen hatte und dann gab es da so eine Aussage wie: “Hey, Kjell, also wenn du mal irgendwie willst, ne, ich kenn da so eine hübsche junge Dame und für Geld macht die alles und sag einfach mal Bescheid und dann machen wir mal ein Treffen mit der aus”. Das fand ich schon ein bisschen befremdlich. Ich hab dann auch in dem Moment gesagt: “Nee, das möchte ich irgendwie für mich auch gar nicht, wenn dann möchte ich eigentlich jemanden, den ich dafür jetzt nicht bezahle oder beziehungsweise es ist jetzt gerade überhaupt nicht meine Priorität”. Das war so eine Zeit, wo ich in Richtung langfristiger Beziehung geschaut habe und glaube nicht, dass das gut funktioniert, wenn man dafür jemanden bezahlen muss.
Anna: Ja, das ist auch wieder so ein Beispiel dafür, dass die Überzeugung vorherrscht, dass Menschen mit Behinderung auf natürlichem Weg gar nicht in einer Partnerschaft landen können. Ja, das ist also eine Vorstellung, die für viele einfach fern liegt. Und ich kann mir vorstellen, dass wenn man immer wieder mit dieser Vorstellung konfrontiert wird, das auch was mit dem Selbstbild macht, also hast du da Erfahrung dazu? Was macht das mit dir, wenn du sowas hörst?
Kjell: Ja, ich glaube schon, dass das was mit einem macht und man sich da so ein bisschen aktiv hinterfragen muss: was passiert denn da gerade? Also zum Beispiel das Thema Sexualität als Tabu, das vielleicht auch aufgrund der Behinderung Sexualität ein noch stärker tabuisiertes oder vielleicht auch einfach gar nicht so angesprochenes Thema wird. Das andere natürlich auch so ein Stück eine Außensicht, wenn mich jemand implizit für unattraktiv hält, also jetzt mal ganz unabhängig von so einer individuellen Bewertung, ob ich für jemanden als Partner in Frage komme oder nicht, sondern einfach so dieses Gefühl: Naja, qua Behinderung hatten wir ja gesagt, ist dann jemand einfach erstmal unattraktiv. Wenn man das allzu oft hört oder immer wieder vermittelt bekommt, läuft man natürlich Gefahr, diese Sicht auch zu übernehmen. Das war etwas, was ich für mich festgestellt hatte, dass ich das erstmal aktiv ablegen musste und einfach mich darum kümmern musste, dass ich diese Sicht nicht in alle Ewigkeiten mit mir herumtrage, bevor ich überhaupt das zulassen konnte, dass mich jemand wirklich attraktiv findet.
Anna: Und was meinst du? Was könnte man tun, um diese Sicht, die offenbar vorherrschend ist, zu ändern? Hast du irgendeine Idee für einen Ausweg, irgendwelche öffentlichen Aktionen oder was anderes?
Kjell: Ich glaub, da gibt es viele Leute, die entsprechende Dinge machen. Aber ich hab für mich auch mal festgestellt: Ich bin kein Aktivist. Das ist irgendwie nicht so die Sache, die ich in meinem Leben brauche. Ich glaub, da gibt es andere Leute, die das viel besser können. Ich würde auch mal gefragt, ob ich mal auf so eine Pride Parada mitkommen würde oder ob das was ist, was mich interessiert, und das ist für mich eher etwas, was mich abschreckt. Wenn ich das Gefühl habe, das ist jetzt vielleicht sehr stark darauf ausgerichtet, viel Aufmerksamkeit zu generieren. Das ist mir einfach im Zweifel persönlich ein bisschen zu drüber. Wenn das Leute gerne machen wollen: Klar, warum nicht? Ist vielleicht auch positiv, wenn man dadurch ein bisschen mediale Aufmerksamkeit generiert, aber für mich hat das eigentlich nichts mit der Normalität zu tun, die ich da anstrebe. Also mir wäre es viel lieber, wenn man nicht irgendwelche großen Pride Parades brauchen würde, um einfach zu sagen: Das ist doch ganz normal, dass auch Menschen mit Behinderung in Partnerschaften sind und eine ganz normale Sexualität haben.
Anna: Menschen mit Behinderungen in Partnerschaften, darüber haben wir jetzt ein bisschen gesprochen. Worüber wir nicht so viel gesprochen haben, ist jetzt der Einfluss der Devness auf so eine Partnerschaft. Dazu haben wir auch in den vorherigen Folgen schon bisschen was gesagt, aber es ist ja dann doch noch mal was anderes, wenn Menschen wissen, dass man eben aufgrund oder unter anderem aufgrund einer speziellen Vorliebe in so einer Beziehung ist. Oder wenn jetzt zum Beispiel Personen in deinem Umfeld wissen: Du als behinderter Partner hast eben eine Partnerin, die auf die Behinderung steht.
Kjell: Ja, das können wir ja in der nächsten Folge nochmal ein bisschen machen, dass wir etwas mehr auf das Thema Devness eingehen und auch die Rolle davon in einer Beziehung. Aber ich würde sagen bis dahin lasst ihr uns gerne wissen, was euch an dem Thema besonders interessiert, schreibt uns das einfach in die Kommentare auf rollirotik.com oder bei Twitter oder bei Facebook, wie ihr mögt. Und danke, dass ihr dabei seid, bis zur nächsten Folge!
Anna: Bis bald.
Hallo Anna und Kjell,
Als rollstuhlfahrender Mann der schon sowohl mit einer Rollstuhlfahrerin als auch mit einer nichtbehinderten Partnerin in einer Beziehung lebte, finde ich Euer Thema wieder mal sehr spannend und danke Euch für das einstellen dieser Podcast Folge!
Als Ergänzung fällt mir dazu ein, was geschah als ich mich von einer nichtbehinderten Freundin getrennt habe und ein paar Monate später mit einer ebenfalls gehandicapten Partnerin zusammen kam. Ein damaliger Freund der ebenfalls im Rollstuhl saß, fragte mich warum ich den nun eine behinderte Partnerin hätte, wo ich mir doch auch wieder eine nichtbehinderte Partnerin hätte suchen können…
In seinen Augen war meine neue Beziehung ein Abstieg eine Art Trostpflaster weil es mir nicht gelungen war eine neue “gesunde” Partnerin zu finden. Ich war hingegen verliebt und stolz eine so schöne, gebildete und einfühlsame Partnerin gefunden zu haben die mit Sicherheit auch viele andere Partner hätte wählen können, sich aber für mich entschied Ich hätte sie weder gegen eine andere gesunde noch gegen eine andere behinderte Partnerin tauschen wollen.
Schubladen und Vorurteile gibt es bei dem Thema ganz viele, ich empfinde es mitlerweile sogar als einfacher eine nichtbehinderte Partnerin zu finden , da viele andere Behinderte eben das Ideal eines “gesunden” Partners haben, was ja auch völlig in Ordnung ist. Manche Behinderungen passen ja auch schon logistisch und technisch nicht zueinander wie Kjell richtigerweise im Podcast beschrieben hat. In anderen Fällen ist es jedoch sehr wohl möglich und wie ich aus eigener Erfahrung weiß, nicht weniger erfüllend.
Gibt es eigentlich analog zum Begriff “interabled” auch einen Begriff der das Zusammenleben zweier behinderter Menschen umschreibt?
Liebe Grüße!!!
Hi Benni,
erstmal ein großes Dankeschön, dass du immer die neuen Folgen hörst und kommentierst. Es freut uns, dass du das spannend findest :-).
Dein Erlebnis, dass es eher als “Downgrade” gesehen worden ist, dass du nach einer nicht-behinderten Partnerin eine behinderte Partnerin hattest, ist auf jeden Fall sehr interessant und sagt wohl auch wieder etwas aus darüber, dass Menschen mit Behinderung nicht als so eine “gute Partie” gesehen werden, wenn es um die Partnerwahl geht. Ich kann nur hoffen, dass es mit der Zeit immer mehr Menschen gibt, die eine Beziehung einfach als das akzeptieren, was sie ist, ohne einzelne Eigenschaften zu bewerten oder mit Vorurteilen zu versehen.
Ich glaube auch, dass es durchaus viele Konstellationen gibt, in denen auch für zwei Partner mit Behinderung keine unüberwindbaren logistischen Probleme entstehen. Wir sprechen ja hier vor allem über Behinderungen, die einen Rollstuhl notwendig machen, eben weil wir das am besten aus eigener Erfahrung kennen. Aber es gibt da ja noch viele andere Behinderungen, die vielleicht auch gar nicht auf den ersten Blick sichtbar sind. Ich hatte auch schon behinderte Partner, die keinen Rollstuhl genutzt haben, und auch da war die Überraschung dann manchmal groß. Aber mit einem Partner im Rollstuhl ist es schon nochmal ein anderes Niveau, das schreckt viele Leute vermutlich eher ab als wenn jemand eine nicht auf den ersten Blick sofort sichtbare Behinderung hat oder eben eine Behinderung, die die Mobilität nicht oder nicht signifikant einschränkt.
Einen eigenen Begriff für eine Partnerschaft zwischen Menschen mit Behinderung kenne ich nicht. Und “interabled” ist ja auch nur aus dem englischen Sprachgebrauch übernommen, weil wir kein anderes Wort dafür kennen und die Phrase “Beziehung zwischen einem behinderten und einem nicht-behinderten Partner” etwas lang und sperrig ist ;-).
Liebe Grüße und nochmal vielen lieben Dank für dein Interesse!
– Anna
Hi Anna und Kjell zu dieser Folge möchte ich zwein Längere Gedanken ein Bringen die auch schon beide auf meinem Blog stehen 1. Warum ich die Sendung besonders verliebt problematisch finde und 2. warum ich Sexualbegleitung problematisch finde https://inklusion-statt-integration.de/besonders-verliebt-die-datingshow-ein-weiterer-sonderraum/
https://inklusion-statt-integration.de/sexualbegleiterinnen-teilhabe-behinderter-sexualassistenz/
Danke auch wieder fürdiese Folge