Anna und Kjell sprechen über logistische Aspekte in Beziehungen zwischen Partnern mit und ohne Behinderung. Wie geht man damit um, wenn die Bahn mal wieder einen Strich durch die Reiseplanung macht? Gibt es auch Vorteile durch die Behinderung, die die Organisation des Alltags vereinfachen?
Transkript
Anna: Herzlich Willkommen zu Rollirotik, dem Podcast zu Sexualität und Behinderung. Heute, in der vierten Folge, wollen wir zunächst einen kurzen Blick zurückwerfen. Beim letzten Mal hatten wir über die Rolle von Assistenz in Beziehungen gesprochen. Und das Thema hat euch offenbar sehr interessiert, denn wir haben einige Rückmeldungen bekommen dazu.
Kjell: Ja, hallo auch von meiner Seite und natürlich erstmal vielen Dank dafür, dass ihr uns wissen lasst, was euch so umtreibt. Macht das auch gerne weiterhin. Wir hatten in den letzten Tagen einige Besucherrekorde auf unserer Webseite rollirotik.com und da auch tatsächlich viel positives Feedback von euch bekommen. Das motiviert uns natürlich sehr und wir gehen hier auch gerne auf eure Fragen ein.
Ich weiß, Anna, als wir uns Gedanken gemacht haben, was wir heute erzählen wollen, hattest du eine unserer Zuschriften dabei, die wir besonders spannend fanden. Was hast du uns denn da mitgebracht?
Anna: Da ging es nochmal um das Thema Assistenz als externen Faktor in der Beziehung. Und eine Zuhörerin hat uns von einem Haupt-Streitthema in ihrer Beziehung berichtet und zwar, dass es manchmal auch gefährlich sein kann, wenn man eben diesen externen Faktor da hat, also wenn eine Person noch mit vor Ort ist, die eigentlich nicht zur Beziehung gehört. Und da war das Beispiel, dass gerade, wenn sich jetzt zum Beispiel auch noch Kinder mit im Haushalt befinden, es ja durchaus gefährlich sein kann, wenn die Assistenz zum Beispiel Gegenstände rumliegen lässt, die dann für Kinder oder zum Beispiel auch, wenn man Haustiere hat, gefährlich werden können. Ich glaube, das ist auf jeden Fall auch eine Situation, die natürlich schwierig ist und irgendwie sehr viel Entgegenkommen von allen Seiten braucht. Also gerade, dass man halt da auch viel Kommunikation hat und dann, wie Kjell das beim letzten Mal auch schon gesagt hat, im Zweifel, wenn es gar nicht passt, vielleicht auch die Möglichkeit hat, da die Reißleine zu ziehen.
Und ein anderer Aspekt, und den fand ich sehr spannend, weil ich den tatsächlich auch schon mal aus einer anderen Richtung gehört hatte, ist, dass es ja gar nicht immer klar ist, dass die Assistenz von Menschen ausgeführt wird, die dafür bezahlt werden. Und zwar gibt es ja auch oft die Situation, dass die Assistenz vielleicht auch direkt aus der Familie kommt. Da hatten wir letztes Mal auch schon mal kurz angerissen, das Thema, aber wenn man dann sozusagen in einer Beziehung ist und vielleicht die Mutter des Partners die Assistenz übernimmt, stell ich mir das durchaus sehr schwierig vor, gerade dann in Intim-Situationen oder insgesamt halt dann in diesen Situationen, wo vielleicht Pflege nötig ist, dann als Partnerin die richtige Distanz zu finden dazu.
Kjell: Ich glaube, das ist auch aus der anderen Richtung dann sehr schwierig, also irgendwie für die Familienmitglieder der Person, die dann auf die Assistenz angewiesen ist, da irgendwie das nötige Maß an Distanz zu wahren. Dann mit solchen Situationen vielleicht auch so umzugehen, dass sich niemand irgendwie blöd dabei fühlt, sich nicht selber blöd dabei zu fühlen, das stelle ich mir wirklich wirklich schwierig vor, wenn dann in so einer Situation da irgendwie auch noch Familienmitglieder nicht nur im Haushalt sind, sondern eben auch direkt dann irgendwie involviert sind. Gerade in den ja eher körperbezogeneren Hilfstätigkeiten. Da bin ich immer sehr froh, dass das bei mir jetzt nicht so ist. Das hatte ich ja letztes Mal auch schon so gesagt. Aber ich kann das durchaus nachvollziehen, dass das enorm herausfordernd ist, gerade auch für eine Beziehung.
Anna: Ja, genau, das sind wieder diese Personen, die eben von außen an die Beziehungen rantreten, das war das letzte Mal das Thema und diesmal wollen wir jetzt auch noch mal über die Innensicht sprechen. Ist es denn auch, wenn man so eine Beziehung von innen betrachtet, so, dass es da Besonderheiten gibt? Ist es dann eine besondere Beziehung und fühlt sie sich besonders an? Also ich kann eigentlich berichten, dass es sich für mich im Alltag zumindest – jetzt vielleicht nach dieser ersten Phase – gar nicht mehr so besonders anfühlt im Sinne von, dass ich jetzt immer denke: Mensch, ich bin hier in einer außergewöhnlichen Beziehung. Denn viel davon, was man macht, ist ja dann einfach Alltag. Der Alltag mag vielleicht ein bisschen anders aussehen, aber für das Gefühl ist es dann vielleicht gar nicht mehr so ein Unterschied. Das ist eine Frage, über die wir uns heute mal verständigen wollen. Wie siehst du denn das, Kjell? Findest du, dass es interne Besonderheiten gibt die Beziehungen, bei den einer der Partner behindert ist, von Beziehung unterscheiden, bei denen beide Partner nicht-behindert sind?
Kjell: Das ist natürlich jetzt für mich ein bisschen schwer zu beurteilen. Dadurch, dass ich ja ohnehin nur die eine Perspektive kenne, aber ich kann ja vielleicht mal so ein paar Hypothesen aufstellen, wo ich auf jeden Fall ganz klare Unterschiede sehe. Und das fängt mal an bei logistischen Fragestellungen, würde ich sie jetzt mal im weiteren Sinne nennen, Ich glaube, dass ganz viel von dem, was so eine Beziehung, in der ein Partner, eine Partnerin eine Behinderung hat, besonders macht, tatsächlich viel mit der Logistik zu tun hat. Das erste, was mir dabei so einfällt, ist Barrierefreiheit von Restaurants. Vielleicht kannst du das nachvollziehen, dass das zumindest ein Herausforderung sein kann.
Anna: Ja, das kann ich total nachvollziehen, ich weiß nicht, wie viele Stunden ist schon vor der Wheelmap gesessen habe, um Restaurantbesuche zu planen oder überhaupt um erstmal rauszufinden, welche Restaurants denn für mich und meinen Partner oder eben für die Person mit der ich da gerade unterwegs war, geeignet sind.
Kjell: Ja, Wheelmap ist eine tolle Sache. Ich fahr dann meistens einfach vorbei oder ich schau bei Street View. Aber tatsächlich genau dieser Planungsaspekt, der ist aus meiner Sicht wirklich, was, was für mich sich vielleicht einfach nach Alltag anfühlt und für mich total normales, wo ich mir aber vorstellen würde, dass jemand, der das so nicht in seinem Alltag braucht, immer diese extra Frage sich zu stellen, ob ich jetzt ins Museum will oder in die Oper oder wohin auch immer, dann den bewussten Gedanken daran zu haben: Komme ich da überhaupt rein und wenn ja, wie. Das ist natürlich nur so ein Beispiel für Logistik. Das ist aber denk ich schon etwas, was auch auf eine Beziehung dann irgendwie Auswirkungen hat. Denn gerade, wenn man jetzt mit seinem Partner dahin möchte, dann ist es ja auch ein Aspekt, ne? Man muss es dann, denk ich, gemeinsam planen, das heißt im Zweifel müsste man sich dann gemeinsam vor die Wheelmap setzen oder gemeinsam auf gut Glück mal hinfahren und hoffen, dass es funktioniert.
Anna hattest du das schonmal, dass du irgendwo da nicht reingekommen bist?
Anna: Nein, ich war immer gut vorbereitet. [lacht]
Kjell: Okay, also gute Vorbereitung hilft.
Anna: Genau. Nein, das ist tatsächlich, habe ich gerade, wenn da jetzt in einem Ort war, wo ich sowieso bin, also zum Beispiel meinem Wohnort, bin ich manchmal tatsächlich auch vor Ort dann dagewesen und habe das vorher mal geprüft. Und dann hat sich natürlich auch in vielen Fällen herausgestellt, dass vielleicht das Restaurant oder das Museum oder was auch immer, wo man gerade hin möchte, nicht so barrierefrei ist, wie man sich das vielleicht gewünscht hätte. Aber dafür weiß man halt vorher Bescheid und erlebt dann keine bösen Überraschungen.
Kjell: Das ist gut. Ich glaube dieser Planungsaspekt, das ist auch tatsächlich etwas, was man so ganz automatisch irgendwie erlernen muss, wenn man jetzt bestimmte Mobilitätseinschränkungen hat. Ich denke da nur an das Beispiel Bahn fahren. Wenn man jetzt gemeinsam irgendwo hinfahren möchte, mit einem Partner oder auch sonst alleine, wie auch immer. Aber klar, mit einem Partner ist es nochmal eine besondere Planungsherausforderung. Wenn ich jetzt mit meinem Rollstuhl in eine Bahn möchte, dann muss ich im Zweifel vorher bei der Mobilitätszentrale anrufen und dort erfragen, ob die Zugverbindung überhaupt funktioniert, die ich mir so ausgedacht habe. Schon alleine, wenn ich das für mich selbst mache, ist das ja ein bisschen herausfordernd. Wenn dann da noch ein Partner dabei ist und ich das nicht nur für mich selbst plane, sondern dann vielleicht immer noch so Zwischenabstimmungen mache, sowas wie: Ich habe mir mit meiner Partnerin einen Zug ausgesucht, den wir gerne nehmen wollen, und dann rufe ich bei der Mobilitätszentrale an und die sagen mir: Ja sorry, wir haben da einen ICE der ersten Generation und da sind nur zwei Plätze für Rollstühle, da kannst du jetzt nicht mit, Kjell. Dann muss ich ja wieder zurück zu meiner Partnerin und sagen: So, was machen wir denn jetzt, ne? Da hingen ja dann häufig auch noch ganz andere Pläne dran. Man fährt ja dann irgendwo hin, will irgendwas tun, muss dann einen Zug früher nehmen, einen Zug später nehmen, dann muss man wieder alles umplanen. Also da ist wirklich schon eine ganze Menge Organisationsaufwand dran und ich denk mir immer so: Das ist ja eigentlich auch was, was ich in einer Beziehung nicht hätte, in der man sich einfach in die Bahn setzt und losfährt.
Anna: Und vor allem ist es ja dann auch so, dass selbst wenn man alles gut geplant hat, und ich kann an der Stelle vielleicht nochmal sagen, dass ich das von vielen Devs höre, dass sie einfach in dieser Planung auch richtig aufgehen oder eben sich sehr bewusst sind, welche Dinge vorab gecheckt werden müssen, aber selbst, wenn man das alles macht, man hat sich stundenlang vor die Wheelmap gesetzt, man hat sich mit der Mobilitätszentrale auseinandergesetzt, kann es ja trotzdem sein, dass es zum Schluss nicht gut funktioniert. Und da können wir jetzt vielleicht mal kurz ein Beispiel aus unserem Erleben erzählen.
Ich war letztens mit Kjell am Bahnhof und er wollte in den Zug einsteigen und der hatte auch sich angemeldet, so wie man das als guter Rollstuhlfahrer natürlich macht, und vor Ort hat sich dann herausgestellt, dass der Zug wwar da war und die Mitarbeiter der Mobilitätszentrale waren auch da, aber die Tür des Zuges, die da zum Rollstuhl-Abteil führte, war defekt. Sie ließ sich auch nicht manuell öffnen und das Zugpersonal war dann erstmal ziemlich ratlos. Das ist ja auch irgendwie so eine Situation, mit der hat man dann erstmal nicht gerechnet, wie löst man das dann?
Kjell: Ich glaub, die Situation lässt sich nicht so leicht auflösen und das ist dann in der Situation immer individuell, wie man dann da vorgeht. Also, ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass viele Leute, gerade wenn die jetzt irgendwie das Zugpersonal der Deutschen Bahn sind, nicht unbedingt darauf vorbereitet sind, mit solchen Situationen umzugehen und ich glaube genau in diesem Erleben, was du da jetzt gerade ansprichst, Anna, da war das tatsächlich der Fall. Was mich natürlich interessieren würde, ist, wie ging es dir in dieser Situation?
Anna: Also ich war eigentlich relativ entspannt. Einfach, weil ich weiß, dass du ja da gut organisiert bist und im Zweifel dann auch mal da die Zügel in die Hand nehmen kannst. Aber man hat schon gemerkt, dass das Zugpersonal total überfordert war, und es hat sich auch darin widergespiegelt, dass sie eigentlich mit uns überhaupt nicht gesprochen haben. Also das Zugpersonal war dann vor Ort, hat irgendwie das Problem erkannt, aber sie haben es dann alles intern in Diskussionen, der drei bis vier Leute, die dann dort vor Ort waren, geklärt, oder vielleicht mal Kjell zu fragen, was dann seine Wünsche wären oder wie man das jetzt vielleicht lösen könnte. Für mich war es dann aber trotzdem sehr spannend, dass ich das miterleben konnte. Ich war irgendwie total froh, dann auch wirklich das als Alltag mitzuerleben, zu sehen, was es dann da doch noch für Stolpersteine geben kann.
Kjell: Ja, ich glaube, das ist auch so ein Standard. Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erleben, und das gilt insbesondere, wenn einer der Reisenden auf einen Rollstuhl angewiesen ist oder sonstige Mobilitätseinschränkungen hat. Ich sag immer so, das absolute Endlevel, der absolute Endgegner für den Rollstuhlfahrenden ist die Flugreise, weil was da so alles schiefgehen kann… Ja, da habe ich schon paar mal gedacht, da müsste ich eigentlich mal ein Buch drüber schreiben und interessanterweise immer, wenn ich mich mal mit anderen Behinderten darüber unterhalte, dann ist das der gleiche Eindruck. Ja, da kann so viel schief gehen. Ich habe jetzt gerade wieder gesehen in den USA gibt eine größere Diskussion über eine Senatorin, die mal irgendwie aufgeschrieben hat, wie viele Rollstühle und Hilfsmittel denn auf Flügen kaputt gehen. Und ich glaube, es waren im Jahr irgendwie so 800. Also mehrere täglich das ist natürlich schon ne ganz schöne Zahl und man fragt sich immer, wie kann denn das eigentlich sein, dass da so viel kaputt geht? Da habe ich aber wirklich auch selbst eine ähnliche Erfahrung gemacht. Das ist jetzt schon eine Weile her, aber da wollte ich in den Urlaub reisen und hatte mich da auch sehr drauf gefreut, hatte mir extra zwei Wochen Zeit genommen dafür und wollte das so richtig genießen. Dann kam ich am Urlaubsort an. Da gibtes ja dann immer so relativ komplexe Ein- und Ausstiegs-Prozesse, wenn man da nicht selber laufen kann, dann bekommt man da entsprechende Hilfe am Flughafen. Dann habe ich eben am Terminal entsprechend auf mein Gepäck gewartet und normalerweise kommt dann einfach irgendwann der Rollstuhl und dann kann ich wieder mit Hilfe transferiert werden, zurück in meinem Rollstuhl, und kann mich dann wieder selbst fortbewegen. Nur leider kam dieser Rollstuhl nicht und dann stand ich da. Dann waren irgendwann auch die letzten Koffer auf dem Band und die letzten Leute weg und dann fragte ich mal vorsichtig nach, was denn jetzt eigentlich mit meinem Rollstuhl wäre. Ja, dann verschwand die Person, der ich diese Frage gestellt hatte, erstmal für eine Weile, kam dann irgendwann wieder und sagte: Tja, das tut uns leid, aber der Rollstuhl ist an einem anderen Ort gelandet, in einen anderen Flieger eingeladen worden und ist jetzt in die andere Richtung geflogen, also so ungefähr fünf bis sechs Flugstunden entfernt. Wir werden den in den nächsten Flieger einladen und Ihnen bringen und dann können Sie den abholen.
Anna: Das klingt ja wirklich wie ein Horrorszenario. Was hatte das dann für Folgen, wie bist du damit umgegangen?
Kjell: Das ist tatsächlich ein Horrorszenario, ja. Ich glaube, das ist es für viele, die sowas mal erleben, und ich bin da bei Weitem nicht der einzige, ich habe das schon von anderen Leuten genauso gehört.
Ja, wie kann man damit umgehen? In der Situation natürlich ist dann das Flughafenpersonal sehr hilfsbereit. Die erkennen ja dann auch die gewisse Notlage, in der sich da jemand befindet. In dem Fall war es dann so, dass sie dann ja angeboten haben, dass sie mir einen Leih-Rollstuhl zur Verfügung stellen, der war dann natürlich mit manuellem Antrieb. Das heißt, ich konnte dann mich nicht selbst fortbewegen, aber immerhin konnte ich dann irgendwie fortbewegt werden. Und naja, nachdem sie mir dann zugesichert hatten, dass sie jetzt alles Menschenmögliche tun würden, damit der Rollstuhl dann so schnell wie möglich da an meinem Urlaubsort ankommt, und Sie mir den dann auch persönlich ins Hotel bringen würden und sich umständlich entschuldigt hatten, war das natürlich am Ende immer noch die Situation, dass ich mich dann selbst nicht fortbewegen konnte.
Anna: Ja, das stelle ich mir dann schon ziemlich schwierig vor, gerade auch jetzt als Auswirkung auf den Urlaub. Also, du hattest dich ja auf eine schöne Zeit gefreut und dann hast du wahrscheinlich die ersten Tage da erstmal in Sorge um den Rollstuhl verbracht. Wie ging es dir dann damit?
Kjell: Ja, zum Glück kam der dann relativ schnell, also der war tatsächlich am nächsten Tag dann da, sodass ich dann nicht allzu lange warten musste. Ich hatte erst befürchtet, dass es noch ewig dauern würde, aber es ging dann relativ fix.
Der Umgang damit ist tatsächlich eine spannende Frage, also natürlich ist es erstmal nervig. Gleichzeitig habe ich mir so über mein Leben angewöhnt, mich davon nicht frustrieren zu lassen. Es hat ja irgendwie keinen Wert, wenn ich mir dann den Urlaub dadurch versauen lasse, oder meinen Tag und dann da sitze und frustriert bin. Was ich mich aber in dem Zusammenhang mal interessieren würde, Anna, wie würdest du denn mit sowas umgehen? Stell dir vor, du bist jetzt mit einem behinderten Partner im Urlaub und hast dich da irgendwie drauf gefreut und dann kann der sich auf einmal nicht mehr fortbewegen.
Anna: Ja, das wirft natürlich erstmal ein paar Pläne über den Haufen, würde ich sagen. Und wahrscheinlich ist es schon erstmal irgendwie eine Quelle für ein bisschen Frustration, aber ich würde sagen, dass man halt weiß, dass solche Sachen passieren können und ich meine, anderen Leuten kann es halt passieren, dass der Koffer nicht am Urlaubsort landet, das ist dann auch nicht so schön. Klar, mit so einem Rollstuhl ist vielleicht noch mal eine andere Situation. Aber ich denke, das sind halt so Sachen, die muss man da oder die nimmt man dann mit in Kauf. Es ist ja in der Situation dann nicht zu ändern. Aber ja, wahrscheinlich ist es auch nicht mein Lieblingsszenario, aber zum Schluss ist es, glaube ich, trotzdem man hat halt den Urlaub und der Großteil des Urlaubs wird dann auch noch schön und man kann vielleicht die ganzen Pläne dann trotzdem noch machen.
Das sind ja aber eigentlich alles Aspekte, die wir bis jetzt angesprochen haben, logistische Aspekte, die auf den ersten Blick erstmal eher negativ erscheinen. Ich würde ja sagen, es gibt durchaus auch welche, die man als eher positiv bezeichnen könnte, wenn man das Ganze jetzt werten möchte. Und da würde ich jetzt mal einen hervorheben wollen, das es natürlich, wenn man jetzt unterwegs ist mit einer Person, die eine Behinderung hat, immer mal auch zu solchen Situationen kommt, in den man gewisse Vorzüge dieses Status dann nutzen kann. Also, da denke ich jetzt zum einen zum Beispiel an die besondere Parkplatzsituation, dass man immer gleich am Eingang der erste ist, der dort den Parkplatz bekommt, oder auch an andere Situationen, wo man einfach bevorzugt wird.
Kjell: Mindestens mal mit vergünstigten Eintritt, also mit dem B im Ausweis kann man ja gut und gerne immer mal Leute mit reinnehmen. Und an eine Sache erinnere ich mich auch noch in den USA, wenn es da so Sehenswürdigkeiten oder Attraktionen gibt, dann sind da häufig lange Schlangen davor. Da ist es aber Usus, dass, wenn man dort mit einem Rollstuhl angerollt kommt, dann sofort ein Mitarbeiter auf einen zukommt und sagt: Kommen Sie mit, kommen Sie mit, hierr vorne können Sie einmal an der Warteschlange vorbei, direkt an die Spitze, sofort rein. Teilweise sind das dann Sachen, wo dann andere Leute irgendwie anderthalb Stunden in der Gluthitze stehen und darauf warten, dass sie da irgendwo reinkommen. Das ist natürlich durchaus ein Vorteil und da kann ich auch sehen, dass das sicherlich auch für die geneigte Begleitung dann auch ne nette Sache ist.
Anna: Klar, aber apropos nicht in Schlangen warten zu müssen. Da haben wir ja letztens auch so ein nettes Erlebnis gehabt, Kjell, als wir in einem Kaufhaus waren und das war so mitten zu Corona-Zeiten, dass es am Eingang überlebensgroße Plakate mit QR-Codes zur Kontaktdaten-Nachverfolgung gab. Das heißt, jeder, der in dieses Kaufhaus wollte, musste zuerst diesen QR-Code scannen und dann auch dem Security-Mitarbeiter am Eingang auf dem Smartphone zeigen, dass man gerade eben diesen QR-Code gescannt hatte und sich dann über die App entsprechend im Gebäude angemeldet hatte. Kjell und ich sind dann so zur Eingangstür gekommen. Wir fingerten so unsere Handys raus, um eben diesen QR-Code zu scannen. Auf einmal kam der Security-Mitarbeiter auf uns zu, winkte uns ran, hielt uns die Tür offen, kontrollierte natürlich keines unserer Smartphones, ob wir dir da wirklich den Code gescannt hatten, was wir tatsächlich zu dem Zeitpunkt auch noch gar nicht zeitlich geschafft hatten, und wurden sofort ins Kaufhaus eingelassen, ohne das jetzt jemand drauf geachtet hat, ob wir wirklich den Code gescannt haben oder nicht.
Kjell: Da kannst du natürlich auch nicht nein sagen, ne, wenn da jemand dich so sehr nötigt, da jetzt einfach durchzukommen. Aber klar, das erlebt man da durchaus immer mal wieder. Das ist vielleicht ein bisschen Teil dieses Alltags. Also es hat sicherlich gute wie auch negative oder nervige auch mal frustrierende Seiten.
Anna: Ich glaube ganz abgesehen von diesen ganzen logistischen Aspekten, die wir jetzt besprochen haben, muss ich jetzt sagen aus einer Dev-Perspektive finde ich das schon auch reizvoll, das einfach mitzuerleben. Also, was ich gerade schon bei dem Deutsche-Bahn-Erlebnis, das sicher eines von hunderttausenden ist, die man so machen kann, wenn man eine Behinderung hat, erzählt hatte, gilt glaube ich auch generell. Also, das ist einfach für mich schon auch sich ein bisschen wie ein Privileg anfühlt, das miterleben zu dürfen, einfach Teil sein zu dürfen. Nicht weil ich denke, da bin ich jetzt jemand Besonderes, sondern einfach weil es sich so anfühlt, als wäre das ein normaler Teil meines Lebens, also ein Teil, der einfach da sein sollte und wo ich am richtigen Platz bin.
Kjell: Das klingt gespannt. Ich glaube, da sollten wir auf jeden Fall noch mal ein bisschen drauf eingehen, Anna, um das vielleicht noch mal ein bisschen zu vertiefen, neben den logistischen auch ein bisschen stärker die emotionalen Aspekte zu beleuchten. Und ich hätte dazu ganz viele Fragen, aber mit Blick auf die Zeit besprechen wir das vielleicht auch dann beim nächsten Mal.
Wenn ihr bis dahin Sehnsucht nach uns habt, dann könnt ihr auch gerne mal auf unserem neuen Twitter-Profil oder bei Facebook schauen. Rollirotik, da findet ihr uns. Da bekommt ihr auch zwischendurch mal ein paar Updates, während ihr auf die nächste Folge wartet, in der wir uns dann näher mit den genannten emotionalen Aspekten des Alltags beschäftigen. Bis dahin, bleibt uns gewogen. Vielen Dank, dass ihr dabei wart, und auf Wiedersehen oder -hören.
Anna: Tschüß!
An der Schlange vorbei usw scheint ja erstmal nett ist aber im Grunde ja ne Diskriminierung wenn mensch diesen Nachteilausgleich gar nicht braucht weil einem dinge ja ungefragt abgenommen werden
Hallo Daniel,
danke für deinen Kommentar. Ich habe die geschilderte Situation nicht als Diskriminierung erlebt. Im Gegenteil: Es ist für mich ein gutes Beispiel dafür, dass nicht jede Sonderbehandlung wegen meiner Behinderung per se schlecht ist. Dabei finde ich es wichtig noch einmal zu unterstreichen, dass wir hier unsere persönliche Sicht darstellen und nicht den Anspruch haben, für andere zu sprechen. Völlig legitim, wenn du so eine Situation anders erlebst.
– Kjell