Anna und Kjell stellen sich die Frage, ob eine Behinderung Einfluss auf die Gefühlswelt innerhalb der Partnerschaft hat und wie Verletzlichkeit und Bedenken überwunden werden können.
Transkript
Kjell: Herzlich Willkommen zu Rollirotik, dem Podcast zu Sexualität und Behinderung. Wir sind weiterhin beim Thema Alltag und Zusammenleben in interabled Beziehungen. Nach den logistischen Besonderheiten wollen wir uns heute noch einmal den abstrakteren Themen der Gefühlswelt widmen. Anna du hattest bereits Beziehungen mit behinderten Männern? Wie war das für dich? Wie fühlt sich so eine Beziehung an für dich?
Anna: Ja, hallo erstmal von mir. Genau, ich hatte schon solche Beziehungen. Tatsächlich hatte ich beides schon, also Beziehungen ein Mal eben zu behinderten Partnern und auch Beziehungen zu nichtbehinderten Partnern. Von daher habe ich vielleicht so ein bisschen den Vergleich und kann auch ein bisschen jetzt über die Unterschiede berichten. Die gibt es nämlich, und zwar auf verschiedenen Ebenen. Zumindest für mich gab es die auf jeden Fall. Also das eine ist die emotionale Ebene und da habe ich festgestellt, dass ich wirklich bei Beziehungen zu behinderten Partnern emotional viel tiefer involviert bin, als es bei Beziehungen zu nichtbehinderten Partnern der Fall ist. Das ist jetzt gar nicht so sehr, weil ich das aktiv möchte oder anstrebe, sondern wirklich was, was ich so tief aus mir heraus ergibt.
Kjell: Woran merkst du sowas?
Anna: Ja, das merke ich zum Beispiel daran, dass ich viel verletzlicher bin. Also dass so Situationen, in denen ich mich vielleicht ungerecht behandelt fühle oder in denen es dann vielleicht auch zum Ende der Beziehung gekommen ist, aus welchen Gründen auch immer, dass ich dann darunter teilweise auch viel stärker gelitten habe, als bei Beziehungen zu nichtbehinderten Partnern der Fall war. Diese Verletzlichkeit ist eine gefährliche Sache. Das ist auch was, was unter Devs häufig diskutiert wird: Dass eben gerade, wenn man einen Partner gefunden hat mit Behinderung, der auch sonst auf verschiedenen Ebenen gut zu einem passt oder vermeintlich gut zu einem passt, man das Ganze so ein bisschen wie den Sechser im Lotto ansieht. Also man kann ich ja vielleicht vorstellen, wenn man jetzt sagt, man hat eine Vorliebe für Menschen mit Behinderung, dann ist es natürlich gar nicht so einfach, da jetzt passende Partner zu finden. Der Dating-Pool ist einfach sehr klein. Ich glaube, darüber sprechen wir vielleicht in einer anderen Folge später nochmal, über diese Problematiken. Aber wie auch immer, wenn man dann halt jemanden gefunden hat, den man auf einer emotionalen, auf einer alltäglichen und eben auch auf einer sexuellen Ebene als passend erachtet und das sich dann aus den einen oder anderen Gründen zerschlägt, dann stiehlt sich natürlich super schnell der Gedanke so ein, dass man denkt: Oh mein Gott, man wird doch nie wieder so einen Partner finden. Ich glaube, das ist auch ein großer Unterschied, weil wenn man jetzt nicht so einen engen Suchradius hat, dann ist vielleicht dieses “man wird nie wieder so jemanden finden” auch da, aber nicht ganz so sehr von Fakten untermauert, wie es jetzt vielleicht für das der Fall ist.
Kjell: Okay, versteh ich. Stell ich mir auch nicht einfach vor, wenn du dann da dieses tiefe emotionale Involvement hast und wenn ich dich richtig verstehe, ist das für dich wirklich konkret nur bei Partnern so, die eine Behinderung haben, und bei Nichtbehinderten ist dann eher so: Naja egal, dann kommt vielleicht irgendwann der nächste oder wie ist das dann gefühlsmäßig?
Anna: Naja, also ganz so schlimm ist es jetzt auch nicht. Nicht: “Egal, es kommt dann irgendwann der nächste”. Ich war dann natürlich auch traurig, als die Beziehungen in die Brüche gegangen sind. Aber es ist mir viel leichter gefallen, irgendwann dann so wieder Boden unter den Füßen zu haben und einfach weiterzugehen. Die Möglichkeit zu haben zu sagen: Okay, das war jetzt eine Erfahrung und ich schaue jetzt, was mir das für die Zukunft bringt. Das war viel einfacher als als Beziehungen mit behinderten Partnern in die Brüche gegangen sind, wo ich einfach erstmal keine richtige Zukunftsperspektive mehr gesehen habe. Irgendwann kam die dann wieder und ich bin ja jetzt hier und irgendwie ist das Leben weitergegangen, aber trotzdem waren es einfach viel einschneidendere Momente. Und auf der anderen Seite ist es natürlich auch auf der sexuellen Ebene was ganz anderes gewesen für mich als die Beziehungen mit den nichtbehinderten Partnern. Und zwar vor allem deswegen, weil dann auch für mich selbst sexuell überhaupt erstmal was lief. Also man kann vielleicht schon dazu sagen, dass meine Sexualität bei Männern ohne Behinderung jetzt nicht anspringt, beziehungsweise es da kaum Reaktionen gibt. Das heißt, dass ich überhaupt mal Beziehungen mit sexuellen Komponenten zu einem Partner mit Behinderung hatte, war schon eine krasse Erfahrung, alleine an sich jetzt ganz abgesehen davon, wie gut oder schlecht der Sex jetzt war. Aber einfach, dass es sowas gab und dass ich gemerkt habe, dass es bei mir richtige tiefgreifende Reaktionen auslöst. Das war ein total schönes Gefühl und das hat mir selbst ja auch nochmal so ein bisschen die Bestätigung gegeben, dass ich mich und meine Sexualität in dem Sinne richtig verstanden habe. Man fragt sich ja vielleicht als Dev schon ab und an mal, naja, vielleicht gibt es auch noch andere Alternativen. Und man muss ja auch sagen, dass es nicht bei allen Devs so ist, dass sexuell dann nur mit behinderten Partnern das möglich ist. Aber bei mir ist es schon relativ ausgeprägt und wenn ich das dann in den Situationen, in denen ich wirklich sexuell aktiv bin mit behinderten Partnern auch so spüre, dass es dann aus dem Körper raus starke Reaktionen gibt, dann weiß ich einfach, dass ich da vielleicht auch auf dem richtigen Weg bin.
Kjell: Kann ich total nachvollziehen, das klingt ja auch irgendwie schön. Also jetzt so aus meiner Perspektive die Vorstellung, mit jemandem zusammen zu sein, der darüber ein sehr tiefgehendes emotionales Erleben hat, darüber vielleicht auch so eine gewisse Exklusivität im sexuellen Empfinden auch, das ist ja toll. Trotzdem höre ich zumindest auch von anderen Behinderten und das ist natürlich auch eine Frage, die bei mir irgendwann mal im Kopf war: Was mutet man eigentlich einem Partner mit einer Beziehung zu, wenn man jetzt einne Behinderung hat? Also ganz konkret hab ich neulich in einer Diskussion mal die Frage gehört, ob es nicht übermäßig egoistisch wäre, wenn man jetzt als Behinderter eine Beziehung möchte, weil man einen Partner da vermeintlich nur zur Last fällt. Ich würde das jetzt nicht so formulieren, aber das war einfach die Frage, die da an der Stelle aufkam. Wie siehst du denn das, Anna?
Anna: Ja, da kann man sich natürlich erstmal fragen, ob das nicht ganz unabhängig von einer Behinderung der Fall ist, dass der Wunsch nach einer Beziehung jetzt auch zu einem gewissen Teil egoistisch ist, weil es ja eigentlich in den meisten Fällen wahrscheinlich so eine Verbesserung der eigenen Lebenssituation zur Folge hat, wenn man in einer Beziehung ist oder wenn man in einer gut funktionierenden Beziehung ist. Aber ich glaube, die wichtigere Frage in dieser Diskussion, die du jetzt angesprochen hast, ist eher, wie man denn mit diesen Gedanken, dass man jemandem zur Last fällt, umgeht. Leider kommt es ja in diesen Unterhaltungen dann manchmal etwas auf der Mitleidsschiene daher, dass jemand sagt, er wisse gar nicht, was er aufgrund der Behinderung überhaupt in so eine Beziehung bringen kann. Also was sind denn sozusagen die Assets, mit denen er vielleicht bei Frauen oder bei Männern punkten kann?
Kjell: Um da jetzt mal so ein Trendbegriff zu benutzen: Klingt ja so ein bisschen nach internalisiertem Ableismus, also nach der negativen Sicht einer Gesellschaft auf das Thema Behinderung und dass dann Menschen, die eine Behinderung haben, sehr stark diese Sicht adaptieren und dann sagen: Ja, ich sehe an mir selbst nur die Defizite und deshalb kann ich mir auch gar nicht vorstellen, dass ich vielleicht für jemanden interessant sein könnte in einer Beziehung oder überhaupt irgendwas beizutragen hätte.
Anna: Ja, aber die Existenz von Devs ist ja sofort der Beweis, dass man auch mit einer Behinderung Dinge zu einer Beziehung beitragen kann. Das ist ja jetzt nur die sexuelle Schiene. Also gerade alles andere, was eine Beziehung betrifft: im ersten Punkt einfach schon mal die emotionale Schiene, darum geht es ja heute auch, die hat ja eigentlich mit der Behinderung jetzt erstmal gar nichts zu tun. Und ich glaube überhaupt generell nicht, dass es irgendeinen Menschen auf der Welt gibt, der zu einer Beziehung nichts beitragen kann. Jeder bringt doch irgendwas mit und wenn das jetzt vielleicht nicht gerade der Skill ist, dass mein Partner jetzt mir die Bilder an die Wand hängt oder die Nägel in die Wand klopft oder so. Das ist jetzt nicht der zentrale Aspekt, bei dem ich bei einem Partner Wert legen würde.
Kjell: Ich glaube, was aber durchaus noch mal eine Herausforderung sein kann, ist diese Sorge, einem Partner zur Last zu fallen. Das ist jetzt zumindest was, was mir nicht so ganz fremd ist, dass ich dann schon mal drüber nachdenke. Wir hatten ja in der letzten Folge darüber gesprochen, Logistik, was ist dann, wenn ich vielleicht am Urlaubsort meinen Rollstuhl nicht habe und mich dann der Partner schieben müsste oder allgemein dieses Gefühl, dass ich durch meine Einschränkungen auch meinen Partner einschränke. Wie siehst du denn das?
Anna: Ich glaube, da darf man jetzt auch nicht dem Partner die Kompetenz absprechen, das für sich selbst zu entscheiden. Also solange der Partner weiß, worauf er sich einlässt, also jetzt zum Beispiel in deinem Fall, wenn der Partner weiß: Okay, es könnte theoretisch passieren, dass der Rollstuhl nicht ankommt oder dass der Rollstuhl kaputt geht. Das ist ja auch noch so ne, selbst wenn er angekommen ist, das ist ja auch noch so ne Sache, dann weiß man ja als…
Kjell: Auch schon vorgekommen.
Anna: Genau, dann weiß man ja, worauf man sich einlässt. Ich denke, man sollte dann vielleicht als behinderter Partner doch dem nicht behinderten Partner die Entscheidung überlassen, ob er das als Last sieht. Nichtsdestotrotz ist es natürlich richtig, dass es vielleicht viel Arbeit sein kann oder dass man sagen kann: Boah, ich hab jetzt eigentlich nicht die Kraft oder Ausdauer dich hier zwei Tage durch den Urlaub zu schieben. Und ich glaube gerade für solche Situationen, oder auch wenn solche Situationen im Alltag vorkommen, das muss jetzt nicht immer die Spezialsituation Urlaub sein, dann sollte es für die Überlastung vielleicht schon einen Ausweg geben. Also dass man einfach mit sehr viel Kommunikation schaut: Was ist das richtige Maß? Was kann ich leisten in der Beziehung als nicht behinderter Partner? Wobei kann ich helfen? Was mach ich vielleicht auch gerne? Und wo ist dann vielleicht die Grenze, dass ich sage: Also das schaff ich jetzt nicht mehr körperlich oder emotional und hier brauchen wir einfach mal Hilfe. Ich meine, diese Hilfsangebote gibt es ja, da sollte man dann auch irgendwie zusammen überlegen was machen wir in dieser Situation? Der steht dann im Zweifel zur Verfügung?
Kjell: Sicherlich auch eine Frage von guter Kommunikation an der Stelle, dass man einfach darüber sprechen kann und ich denke, dass das ganz erfolgsentscheidend auch ist für das Funktionieren solcher Beziehungen, dass man darüber spricht und das auch irgendwie in Worte fassen kann und auch sich nicht davor scheut, einfach mal offen darüber zu reden. Hey, ich fühl mich gerade überfordert oder ich fühl mich gerade überlastet, und ich denke, für mich wär das total wichtig von einem Partner, von einer Partnerin das zu hören, dass sie mir das im Zweifel auch sagen würde.
Anna: Dann ist es eine gute Sache, wenn die Partnerin oder der Partner natürlich auch weiß, dass er das sagen darf. Also ich war auch schon mal in einer Situation, wo ich das Gefühl hatte, sowas nicht sagen zu können, weil es einfach von mir erwartet wurde und ich glaube, das ist dann auch ne Frage von guter Kommunikation, das einfach auch der Raum da ist, die Gefühle oder die Bedürfnisse dann wirklich einfach auszudrücken.
Kjell: Vor allem ohne, dass man dann dafür so das Gefühl hat, das ist jetzt falsch oder man macht sich damit angreifbar. Und da ist dann natürlich auch derjenige, der dann die Behinderung hat, gefragt, denke ich, damit auch entsprechend umzugehen und dann nicht zu sagen: Hey, wie kannst du nur mir jetzt irgendwie das nicht geben wollen? Ich glaube, das ist dann nicht so hilfreich. Was mich aber an der Stelle auch nochmal interessieren würde, wenn es jetzt um Einschränkungen geht, und natürlich haben ja auch einige Einschränkungen, darüber haben wir die letzte Folge gesprochen, Auswirkungen auch potenziell auf Partner: Wie gehst du damit um, wenn dich die Behinderung deines Partners einschränkt?
Anna: Ich muss sagen, dass es zum Glück gar nicht so häufig vorgekommen ist bisher, dass es mich so eingeschränkt hat, dass ich das Gefühl hatte, das stört mich jetzt. Weil einfach zumindest in meinen bisherigen Erfahrungen diese positiven Aspekte, die ich für mich selbst da rausgenommen habe, überwogen haben. Aber klar gibt es so ein paar Punkte, von denen ich weiß, dass sie mich auf lange Sicht stören oder von denen ich weiß, dass gerade wenn die Beziehung jetzt vielleicht ein bisschen länger dauert als nur in so einer Anfangsphase, wo man sowieso alles nur durch die rosarote Brille sieht, dass es dann zumindest so in meinem Kopf vielleicht immer mal Situationen geben kann, wo ich denke: Muss das jetzt wirklich sein? Als Beispiel: Ich glaube, das ist das, was mir am ehesten aufgefallen ist, ist das Zeitmanagement. Also man muss einfach damit rechnen, dass wenn man jetzt mit einem Partner mit Behinderung unterwegs ist oder zumindest mit denen, mit denen ich bisher unterwegs war, dass dann einfach einige Dinge viel länger dauern, als man es so gewohnt ist. Also das fängt ja damit an, dass so die verschiedenen Hygienetätigkeiten ein bisschen länger dauern, als man das für sich selbst vielleicht braucht oder dass man Umwege fahren muss, weil halt irgendwo eine Treppe ist und man nicht so schnell wie gewohnt zum Ziel kommt. Das sind alles so Sachen, klar, das kann schon irgendwie nervig sein, obwohl ich auch da glaube, dass mit guter Planung da relativ viele Stolpersteine zu umgehen sind. Eine andere Sache, die vielleicht auch mal ein bisschen nervig sein könnte, und darüber haben wir auch schon gesprochen, ist eben die Frage nach der Barrierefreiheit. Klar, wenn ich sage: Mensch, ich würde jetzt so super gerne mal in dieses neue tolle Restaurant gehen, aber davor sind halt fünf Stufen und tja, Kjell, da kannst du jetzt nicht mitkommen. Was machen wir denn da? Das ist dann auch so eine Frage, wie löst man das Problem. Also ich für mich würde das nicht so lösen, indem ich sage okay, ich geh jetzt nicht in dieses Restaurant. Ich würde dann halt schon versuchen, vielleicht Auswege zu finden. Also entweder man sagt okay, das Restaurant hat einen Lieferdienst, wir bestellen halt mal dort und können dann das Essen trotzdem mal testen. Oder ich sage: Naja gut, sorry, aber ich würde das jetzt wirklich gerne machen. Dann gehe ich halt mit Freunden hin, für die die Treppe jetzt vielleicht kein Problem darstellt. Ich weiß nicht, ob das für den Partner dann eine unangenehme Situation ist. Aber ich glaube auch da, mit genug Kommunikation kann man das durchaus gut lösen.
Kjell: Ja, da kann ich auch nur sagen, ich glaube, Reden hilft da ganz viel und auch irgendwie so ein tiefer gehendes gegenseitiges Verständnis, dass es einfach immer Dinge geben wird, die man vielleicht auch nicht im Rahmen einer Beziehung macht. Ich denke, es ist sowieso nicht so hilfreich, über Beziehungen so nachzudenken, dass es hundert Prozent des eigenen Lebens und der eigenen Freizeit in Anspruch nimmt, so eine Beziehung. Es wird immer Dinge geben, die man vielleicht mit anderen Leuten außerhalb der Beziehung tut. Das sollte so eine Beziehung auch nicht beschädigen. So würde ich darüber nachdenken. Aber ich glaube, es wäre mir dann schon wichtig, dieses klare Gefühl zu haben, dass das jetzt eben einfach etwas ist, was außerhalb von der Beziehung stattfindet, und dass das ist nicht schlimm ist und dass ich mit meiner Partnerin darüber reden kann und das nicht einfach irgendwas ist, was so hinter meinem Rücken passiert, oder was dann verschämt verdruckst nicht angesprochen wird. Weil damit hätte ich dann wahrscheinlich wieder ein schlechtes Gefühl. Aber wo wir bei Gefühlen sind, vielleicht noch mal die Frage an dich, Anna, wenn du in so einer Situation bist, fühlt sich das für dich komisch, an dieser Spagat? Du würdest das eigentlich gerne mit deinem Partner tun, aber der ist jetzt halt behindert und deshalb geht das nicht. Ist das für dich irgendwie so eine innere Dissonanz oder kriegst du das ganz gut übereinander, dass das halt nicht geht?
Anna: Eigentlich ist es keine Dissonanz für mich, nein. Also ich würde nie von einem Menschen erwarten, dass er alle meine Wünsche oder Bedürfnisse abdecken kann. Und ich glaube, das ist auch nicht realistisch, das von jemandem zu erwarten. Weil wir Menschen sind irgendwie sehr vielfältig und haben viele verschiedene Wünsche und wenn ich halt die einen Dinge mit meinem Partner mache und andere Dinge dann eben nicht mit meinem Partner, sondern dafür mit Freunden, Familie, wem auch immer, dann ist das für mich eigentlich eine sehr normale Sache. Dass eben nicht eine Person alles in meinem Leben abdecken kann, das finde ich eigentlich auch sehr schön, weil man dadurch halt auch von verschiedenen Seiten noch Input hat und viel mehr die Gelegenheit hat, sich auch persönlich weiterzuentwickeln, als wenn man immer nur so im eigenen Saft kocht oder in dem gemeinsamen mit dem Partner halt dann in dem Fall.
Kjell: Ja, ich denke auch die externen Impulse sind wichtig. Aber neben diesen ganzen sag ich mal harten, in der Realität gebundenen Einschränkungen gibt es ja auch noch so eine andere Dimension. Ich würde das mal so Barrieren im Kopf nennen. Ich habe in meinem Leben die Erfahrung gemacht, dass es durchaus einige Menschen gibt, die wenn sie mich kennen lernen und so ein bisschen sehen, was vielleicht alles nicht geht aufgrund meiner Behinderung, dann automatisch versuchen, Rückschlüsse darüber zu treffen, was denn wirklich alles nicht geht und dann manchmal auch falsche Rückschlüsse ziehen und denken, bestimmte Dinge gehen nicht. Also ein Beispiel dafür wäre für mich, dass ich mal einen Kollegen hatte, der irgendwie überzeugt war, dass für mich Dienstreisen nicht möglich wären, eben weil ich im Rollstuhl sitze und dann geht das ja nicht. Das ist dann etwas, was in der Realität überhaupt nicht so ist. Natürlich kann ich auch irgendwo hinreisen und tu das auch regelmäßig. Aber die Person hat mir das ja auch nicht gesagt, weil sie in ihrem Kopf einfach völlig klar hatte: Ja, der Kjell, der kann halt nicht reisen. So, End of Story. Und das ist ja auch gar keine böse Absicht und das machen die Leute auch gar nicht bewusst, dass sie diese Barrieren in ihrem Kopf aufdenken, die da gar nicht real vorhanden sind. Da würde mich jetzt noch mal interessieren, Anna: Du kennst dich ja, wie du sagst, devbedingt, würde ich mal sagen, sehr gut aus, gerade auch mit Behinderungen. Könnte dir sowas auch passieren?
Anna: Ich hoffe nicht, aber ganz ausschließen kann ich es ja vielleicht auch nicht. Um das jetzt mal zu erklären: Normalerweise ist es so, dass ich halt ganz viel nachfrage, das hab ich auch schon mal gesagt. Ich frag nach, was irgendwie zu beachten gibt. Ich frag ganz viel über Alltagssituationen, wie machst du das, wie ist das, wenn du dieses und jenes machen willst? Nicht nur, weil es mich irgendwie interessiert und ich das spannend finde, sondern auch um das eben mitplanen zu können, um irgendwie wissen zu können: Ok, wenn ich jetzt irgendwas plane für uns, was muss ich denn alles beachten? Aber klar, ne, vielleicht gibt es doch mal irgendwann eine Situation, von der ich denke: Das könnte jetzt schwierig sein, und dann sagt mein Partner: Nö, nö, das hab ich doch schon hundertmal gemacht. Das kann schon durchaus vorkommen und ich glaube, ich bin dann aber auch ein bisschen motiviert zu schauen bei Dingen, die ich gerne machen würde und bei denen ich vielleicht erstmal denke, oh, das könnte schwierig werden, Lösungen da ringsrum zu finden. Und das ist auch was, was ich von anderen Devs höre, dass sie das einfach als eine sehr schöne Aufgabe wahrnehmen, ja, Umwege zu finden, um Dinge, die sie gerne mit ihren Partnern machen möchten, eben dann auch wirklich zu machen. Und ich glaube, dann ist es auch oft so, dass man den Partner so zumindest im Rahmen der Möglichkeiten auch mal herausfordert. Dass man mal versucht, irgendwas zusammen zu machen, von dem man jetzt auf den ersten Blick vielleicht nicht denken würde, dass das so einfach ist. Als Beispiel würde ich da mal sagen, wenn man zum Beispiel kocht, dass man sagt: Ja, du kannst jetzt vielleicht nicht so viel helfen, aber hier es gibt diese zwei, drei Kleinigkeiten, das kannst du doch vielleicht doch mal machen. Auch wenn das dann vielleicht ein bisschen länger dauert oder so, aber dass man einfach auch das Gefühl hat, man macht das jetzt zusammen.
Kjell: Da würden sich jetzt wahrscheinlich viele Menschen, die das dann sehen, denken: Warum denn so umständlich, das ist doch viel einfacher und bequemer, wenn ich das selber mache und dann lass mal den armen Mann im Rollstuhl da sein. Dann muss er jetzt nicht anfangen, dann noch irgendwelche Sachen zu schnippeln für das Abendessen, wenn ihm das motorisch sowieso schon so schwer fällt, oder was immer die andere Tätigkeit ist. Warum ist dir denn das wichtig das zu machen?
Anna: Also zum einen, um einfach auch so ein bisschen rauszukommen aus diesem Gedanken: Dieses und jenes kann er nicht, deswegen muss er es auch nicht machen. Weil das glaube ich ganz oft auch ein bisschen die Gefahr birgt, dass man dann bequem wird und einfach sagt: Naja, kann ich nicht, mache ich nicht. Das gilt sicher nicht für alle, aber ich hab einfach auch schon die Erfahrung gemacht, dass es manchmal so ein bisschen zumindest diese Tendenz gibt. Außerdem finde ich es halt total schön, wenn man wirklich auch Sachen zusammen macht. Das ist doch irgendwie ne wunderschöne Paar-Erfahrung zusammen in der Küche zu stehen, oder in dem Fall zu sitzen und zu sagen: Wir bereiten jetzt halt mal zusammen das Abendessen vor und da machst du jetzt auch mal deinen Teil dazu. Und, ok, das dauert jetzt für dich vielleicht ein bisschen länger diese Gurke zu schneiden, als wenn ich das schnell machen würde. Ich mach aber halt in der Zeit was anderes und dann haben wir beide was dazu beigetragen. Und außerdem hat es für mich auch ein Reiz, einfach zu sehen, wie derjenige das dann vielleicht ein bisschen ungewöhnlicher macht oder wie es halt vielleicht ein bisschen ungewöhnlich aussieht, wie er dann diese Gurke schneidet.
Kjell: Das ist wahrscheinlich für jemanden, der dann als drittes, als Außenstehender dazukommt und diese Szene dann sieht, wie du vielleicht dann neben jemandem stehst, der sich gerade mit der Gurke abmüht und das so ein bisschen als Paar-Erfahrungen wahrnimmst, nicht so ganz nachvollziehbar oder zumindest nicht so leicht oder?
Anna: Ja, das gilt ja sicher für ganz, ganz viele Aspekte von solchen Beziehungen, in denen es einen behinderten und einen nicht-behinderten Partner gibt. Dass Leute, die von außen draufschauen, die vielleicht mit dem Thema auch noch nicht so viele Berührungspunkte hatten, sich erstmal fragen: Oh mein Gott, wie soll denn das alles gehen? Und das resultiert natürlich auch in der einen oder anderen Reaktion, wenn jemand das erste Mal oder in besonderen Umständen mit solchen Beziehungen konfrontiert ist. Das ist ein großes Thema, und deswegen werden wir dem eine gesamte Folge widmen, und zwar die nächste. Ja, bis dahin gilt wie immer, wenn ihr mehr Lust habt auf Rollirotik, dann schaut mal bei Twitter oder Facebook vorbei. Da posten wir ab und an auch noch andere interessante Fundstücke oder Gedanken, die wir gerade zwischen unseren Folgen mal haben. Und ansonsten würde ich sagen: Wir freuen uns auf euch! Bis zum nächsten Mal!
Kjell: Bis dahin und kommentiert auch gerne weiterhin auf unserer Homepage. Wir freuen uns über alles, was ihr zu unserem Podcast zu sagen habt.
Anna: Tschüss!
Kjell: Macht’s gut!
Hallo Anna und Kjell
Erstmal ein großes Kompliment für Euren Podcast.
Ich habe selbst eine Körperbehinderung und verfolge sowohl die besprochenen Alltagsthemen als auch das Kernthema Sexualität und Beziehung mit großem Interesse. Das Thema Barierren im Kopf in Episode 5 hat mich sehr nachdenklich gemacht. Was Schreibe ich anderen Behinderten einfach so zu ohne nachzufragen oder Devs oder anderen Nichtbehinderten? Man sollte nie vergessen daß man selber immer auch “part of the game” sein kann. Nicht nur die anderen haben barierren im Kopf sondern eben auch ich selbst.
Hallo Benni,
danke für deinen Kommentar! Ich finde es wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen, dass wir häufig utopische Ansprüche an uns selbst und andere haben. Manchmal treten oder rollen Menschen einfach mitten ins Fettnäpfchen, selbst wenn sie es besser wissen könnten. Wir können im Zweifel daraus lernen und z.B. die Barriere im Kopf fürs nächste Mal abbauen.
– Kjell