Anna und Kjell sprechen über ihre sexuellen Erfahrungen. Können behinderte Menschen spontanen Sex haben? Fühlt sich das anders an als Sex mit Menschen ohne Behinderung? Und dann war da noch die Geschichte mit dem Feldweg …
Transkript
Anna: Hallo und herzlich Willkommen zu Rollirotik, dem Podcast zu Sexualität und Behinderung. Ich bin Anna und Kjell ist auch wieder dabei. Hey, Kjell!
Kjell: Hi!
Anna: Wir haben ja im Laufe der Zeit einige Kommentare dazu bekommen, warum wir in einem Podcast über Sexualität und Behinderung so wenig über Sex reden. Zugegebenermaßen haben wir wahrscheinlich mit dem Logo auch hohe Erwartungen geweckt und die wollen wir heute mal versuchen zu befriedigen, denn es geht endlich um das lang ersehnte Thema: Sex in der Praxis. Kjell, bist auch schon so aufgeregt wie ich?
Kjell: Ja, ein bisschen schon. Klar, ist ja jetzt auch kein ganz so alltägliches Thema, was man nun mit jedem bespricht. Von daher umso schöner, dass wir dafür tatsächlich auch die Zuschrift einer Zuhörerin bekommen haben, die ihre sexuellen Erfahrungen mit ihrem behinderten Freund schildert. Da wir natürlich ihre Anonymität bewahren wollen, liest Anna den Text hier einfach vor und ich würde sagen, wir nennen die Zuhörerinnen mal “Pia”.
Anna: Ja, super. Pia hab ich im Internet kennengelernt, weil sie auch eine Dev ist. Und sie ist seit einiger Zeit in einer Beziehung mit einem querschnittsgelähmten Mann und darüber berichtet sie jetzt ein bisschen.
Kjell: Ja, im Vorfeld vielen Dank an Pia, wenn du das hörst, für deinen sehr offenen und persönlichen Erfahrungsbericht und natürlich die Bereitschaft, dass wir diesen, ja, Brief hier präsentieren und kommentieren dürfen.
Anna: Genau, ich freue mich auch, dass das geklappt hat. Dann fangen wir gleich mal an. Pia schreibt:
Pia (gelesen von Anna): Bei mir war es so, dass ich mich im Vorfeld sehr gut informiert hatte, worauf ich mich beim Sex mit einem Paraplegiker einstellen kann. Es gibt einen amerikanischen Youtuber, der querschnittsgelähmt ist und auf eher technisch-sachliche Weise die unterschiedlichen Hilfsmittel erklärt. Es gibt auch Videos von einer amerikanischen Sexualtherapeutin, die dazu aufklärt und Mut macht, den ganzen Körper und vor allem das Gehirn als erogene Zone zu erkunden. Ich hatte die Möglichkeit, eine andere Dev, die bereits Erfahrungen mit einem querschnittsgelähmten Mann hatte, zu dem Thema zu befragen. Ich fühlte mich daher nicht allzu unsicher, als ich die erste Nacht mit meinem jetzigen Partner verbrachte.
Kjell: Der Text geht noch weiter, aber vielleicht nutzen wir die Gelegenheit, mal direkt über einige Punkte zu sprechen. Stichwort Vorbereitung: Anna, du kennst dich ja, wie wir schon mehrfach feststellen konnten, recht gut mit Behinderungen aus. Recherchierst du denn im Vorfeld, was bei einem potentiellen Partner im Bett geht und was nicht?
Anna: Recherche würde ich das jetzt vielleicht nicht nennen. Es stimmt schon, dass ich meist auch vorher Details über die Behinderung und ihre Auswirkungen an sich kannte. Das war aber meist jetzt eher so auf die alltägliche Ebene bezogen und gar nicht so sehr auf sexuelle Situationen. Im Hinblick auf Sex habe ich jetzt vielleicht demjenigen potentiellen Partner vielleicht ein, zwei Fragen gestellt, aber viel externe Recherche gab es da nicht, und ich finde auch, dass die Überlegungen in die Richtung, was geht, was nicht geht, auch von beiden Seiten kommen sollten, also sowohl vom behinderten als auch vom nichtbehinderten Partner. Und ich hab schon einige Behinderte erlebt, die eben selbst nicht so genau wussten, wie das funktionieren würde. Also einerseits natürlich, weil es dazu auch wenig Material gibt, also selbst wenn man recherchiert und vielleicht eine nicht so häufige Behinderung hat, ist es gar nicht gesagt, dass man da viel dazu findet. Auf der anderen Seite vielleicht auch, weil man den eigenen Körper in dem Hinblick gar nicht so gut kennt und deswegen finde ich das auch vollkommen verständlich, weil jeder Körper anders ist und man dann vielleicht erst im Laufe der Zeit herausfindet, was gut funktioniert.
Kjell: Ja das stimmt, kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Ich hab mir da ehrlicherweise nie so groß Gedanken darüber gemacht, was bei mir geht und was nicht geht, aber ich hab das dann auch einfach irgendwann, ja, natürlich mal rausfinden müssen. Ich weiß nicht, ob das jetzt bei mir so behinderungsspezifisch ist, aber ich kann mir natürlich vorstellen, dass es gerade bei einer Querschnittslähmung doch einige Fragestellungen gibt, die sich da so stellen. Da kenne ich mich selber jetzt auch gar nicht so gut aus, ich hab ja keine Querschnittslähmung, von daher will ich mich da jetzt auch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen mit irgendwelchen Annahmen. Die Pia hat ja von Hilfsmitteln gesprochen. Weißt du, Anna, denn, was sie da meint?
Anna: Ja, da gibt es verschiedene Hilfsmittel oder verschiedene Methoden, wie Menschen mit Querschnittslähmung Sex haben oder das Ganze einfach so ein bisschen unterstützen, damit es besser funktioniert. Da denke ich jetzt zum einen so an chemische Hilfen, also Tabletten oder Spritzen, damit die Erektion besser klappt. Es gibt aber auch mechanische Hilfsmittel, das kann man sich dann so vorstellen wie Sexspielzeuge, die dann einfach generell auch der Luststeigerung dienen oder eben auf mechanische Art und Weise für eine bessere Erektion sorgen. Trotzdem ist das aber bei jedem Menschen mit Querschnittslähmung verschieden. Also man kann jetzt nicht sagen, alle Menschen, die eine Querschnittslähmung haben, für die funktioniert Methode XY. Das kommt auf verschiedene Faktoren an, also zum Beispiel jetzt auch auf die Verletzungshöhe, ob das eine komplette oder inkomplette Querschnittslähmung ist oder auch eben auf den Menschen, was er da für Präferenzen hat. Bei meinen bisherigen sexuellen Erfahrungen mit querschnittsgelähmten Männern hatten wir eigentlich gar keine Hilfsmittel verwendet, und das hat dann trotzdem funktioniert. Genau, das ist einfach bei jedem Menschen unterschiedlich. Allerdings, was vielleicht verwendet worden ist, es gibt ja dann noch diese klassischen Hilfsmittel, wie zum Beispiel Kissen an sinnvollen Orten oder sowas. Das ist sicher auch für Menschen mit anderen Behinderungen nützlich. Vielleicht kennst du das ja auch, Kjell?
Kjell: Ja, das ist tatsächlich hilfreich, also auch für mich selbst. Zum Beispiel, wenn ich jetzt auf meinem Rücken im Bett liege, dann kann ich meine Beine häufig nicht allein aufrecht halten und dann kann man natürlich ein Kissen drunter packen, wobei mir persönlich das dann fast noch lieber ist, da ein Körperteil meiner Partnerin zu verwenden. Das ist ja vielleicht auch für beide Seiten ganz angenehm. Bei Hilfsmitteln dachte ich jetzt erstmal an so diese Klassiker, die klassischen Hilfsmittel Rollstuhl, Transferhilfe oder Personenlifter, ein Pflegebett mit irgendwelchen Verstellmöglichkeiten und so weiter. Aber wie du sagst, das sind einfach Dinge, die sehr individuell sind, das wären jetzt einfach Sachen, die ich aufgrund meiner. Behinderung benötige, das hat jetzt erstmal nichts mit Sex zu tun und bei anderen Leuten sind das ja im Zweifel ganz andere Hilfsmittel, die die so brauchen.
Anna: Aber auch wenn es nichts damit zu tun hat, man könnte sie ja dann schon auch beim Sex einsetzen, oder? Hast du da Erfahrung?
Kjell: Ja, sicher, klar, Sex auf und mit Hilfsmitteln, Pflegebett, das hilft natürlich, wenn man da mal so ein paar Dinge verstellen kann und darüber einfach in eine bessere Position kommt. Die meisten elektrischen Rollstühle, ich benutze einen, haben eine Sitzverstellung, das ist natürlich auch sehr hilfreich. Damit man dann möglicherweise auch ja da eine gute Position erreicht oder einfach auch näher an die Partnerin rankommt. Das sind Hilfsmittel, und da ist es natürlich ganz sinnvoll, wenn man ganz gut versteht, wie die funktionieren, also sicherlich auch für beide Partner, wenn man dann auch einfach auf ein paar Ideen kommt, mal überlegen kann, was funktioniert, was funktioniert nicht. Am Ende des Tages ist es, denke ich, nicht verkehrt mit so einem elektrischen Rollstuhl zu wissen, wie man den denn verwenden kann, damit man vielleicht auch außerhalb vom Bett mal Sex haben kann.
Anna: Okay, das klingt ja schon mal spannend. Ich würde sagen, wir machen erstmal noch kurz mit dem nächsten Teil weiter von der Pia, dann schauen wir mal, was sie dazu noch zu sagen hat.
Pia (gelesen von Anna): Dabei war es etwas besonders, weil ich ihn an dem gleichen Abend auch zum ersten Mal überhaupt physisch getroffen hatte, nachdem wir einige Wochen digital kommuniziert hatten. In der Zeit hatten wir das Thema Sex und was sexuell möglich sein würde, kaum angesprochen. Ich wusste auch nicht sehr viel über seinen Körper. Nur die Höhe seiner Verletzung, aber nicht, wie viel Sensibilität er hatte und was konkret funktioniert und was nicht.
Kjell: Ja, Stichwort Kommunikation, wir hatten ja auch in anderen Folgen immer mal wieder gesagt, dass das ganz zentral ist, dass man einfach miteinander redet und rausfindet, wie sich das denn für den anderen anfühlt, dass man jetzt nicht so sehr in so einem Modus operiert, dass man einfach irgendwelche Annahmen trifft im Sinne von “Das geht, das geht nicht” oder irgendwelche Vorerfahrungen da einfließen lässt. Gerade bezogen auf sexuelle Dinge ist das aus meiner Sicht wichtig, weil ja potentiell beide nicht so richtig wissen, was nun miteinander funktioniert. Vorerfahrungen mit anderen Partnern sind ja nicht notwendigerweise übertragbar, also nur weil ich mal mit einer Partnerin diese oder jene Position als sinnvoll und funktionierend erachtet habe, heißt es ja nicht, dass die automatisch auch für alle anderen funktioniert. Ich denke, das ist naheliegend, gerade bei Menschen mit Behinderungen, dass da eben die Körper sehr unterschiedlich sind, aber auch für Nichtbehinderte ist es durchaus ein Thema, je nachdem, wie viel Beweglichkeit man jetzt vielleicht hat, wie sportlich man ist, welche Positionen man da potenziell auch einnehmen kann, die Körpergröße und so weiter und so fort. All das spielt eine Rolle und deshalb eben wichtig, einfach miteinander zu reden.
Anna: Genau, ich kenne das auch von behinderten Sex-Partnern, dass sie so ein bisschen angenommen haben, dass ich genau dieselben Sachen mit ihnen machen kann oder möchte, wie halt ihre vorangegangenen Partnerinnen. Das ist ja auch, wenn ich jetzt vielleicht einen relativ typischen Körper habe und vielleicht typische Körperfunktionen habe, nicht unbedingt gesagt, dass das dann funktioniert und das war im Zweifel dann auch nicht immer so. Ich kenne allerdings jetzt im Gegensatz zu Pia auch die Situation gut, dass es eben jetzt nicht gleich am ersten Tag zu, ja, einer größeren Intimität gekommen ist, sondern dass es sich dann vielleicht erst über eine Zeit entwickelt hat und da erinnere ich mich besonders an die Situation gut, wo die Intimität sich schon vorher dadurch aufgebaut hat, dass der Partner dann entsprechend eben eine schwerere Behinderung hatte und vielleicht ich im Alltag dann schon den einen oder anderen Handgriff übernommen hab. Da das ja dann oft körperbezogene Tätigkeiten sind, waren da irgendwie schon viel Nähe und Intimität da, bevor es überhaupt zur sexuellen Situation gekommen ist und das empfand ich immer als schöne Voraussetzung dafür, dass man sich daneben auch sexuell näher kommt.
Kjell: Ja, ich glaube, das kann ich so auch bestätigen. Gibt es auch in der Ausprägung “Es kann mal ganz schnell gehen”, auch beim ersten Treffen. Aber vielleicht auch über diese Zwischenstufe der, ja, ich sag mal, fast schon Assistenztätigkeit, die dann bei mir mal eine Partnerin unbedingt übernehmen wollte, nämlich genau das Zubettgehen, was dann eben mit Transfer über einen Personenlifter einherging und natürlich auch entkleiden. Ja, tatsächlich war es da so, dass wir irgendwie schon am ersten Abend ja direkt zusammen im Bett gelandet sind, was so auch von beiden Seiten eigentlich nicht geplant war, haben wir dann rückblickend festgestellt. Es hat sich einfach so ergeben, hat sich dann aber auch sehr natürlich angefühlt. Eben, wie du sagst, durch diese Nähe, die da entsteht, durch diese, ja, körperbezogenen Tätigkeiten einfach schon viel diese Nähe erlebt zu haben und dann auch darüber das Vertrauen zu jemanden zu haben, dass das dann auch sehr schnell gehen kann, durchaus.
Anna: Ja, so eine erste Begegnung ist ja immer total spannend und da erzählen wir jetzt am besten mal weiter, was Pia dazu geschrieben hat, wie das dann lief bei ihr. Also sie schreibt:
Pia (gelesen von Anna): Alles lief dann sehr intuitiv und geschmeidig und schön ab. Zuerst küssten und streichelten wir uns und das ging genauso wie mit einem nicht.behinderten Mann. Dann wechselten wir ins Bett und auch da war der größte Teil recht ähnlich zu meinen früheren Erfahrungen mit nicht-behinderten Männern. Meine größte Überraschung war also, dass es sich für mich kaum anders angefühlt hat. Mein Erregungslevel war auch ungefähr gleich hoch, aber auch darauf war ich eingestellt, weil es mir die andere Dev ähnlich geschildert hatte.
Kjell: Beim Thema Transfer ins Bett dauert das ja je nach Behinderung im Zweifel eine Weile. Also zum Beispiel bei mir selber weiß ich, das ist jetzt keine Sache die irgendwie in 30 Sekunden getan ist. Das dauert schonmal so ein paar Minuten. Da stellt sich mir dann häufig die Frage, wie spontan das sein kann. Also je nachdem, welche Aktivitäten man nun gerade gemeinsam unternimmt, kann es ja sein, dass man schnell mal an so einem Punkt ist, wo man sagt, wir würden uns jetzt gerne noch viel näher sein, als wir das gerade sind und das geht im Bett vielleicht besser. Das führt so ein bisschen zu der Frage, wie viel Spontanität lässt so eine logistische Vorbereitung, die da erforderlich ist, dann überhaupt zu? Also ich hab die Erfahrung gemacht, dass dann diese Unterbrechung durch so einen Transfer durchaus auch mal die Stimmung killen kann, was ein bisschen schade ist, weil man jetzt eigentlich gerade so in diesem Modus war: ok, wir möchten jetzt vielleicht gerade miteinander schlafen und dann ja dauert es irgendwie fünf Minuten und dann liegt man im Bett und sagt: “Ja, mmh, wo waren wir eigentlich gerade? Jetzt sind wir eigentlich auch müde und dann schlafen wir mal.” Das ist natürlich ein bisschen schade. Das heißt so meine Erfahrung ist damit, entweder muss man es halt ein bisschen einplanen, dass man vielleicht sich noch ein paar Schritte des Vorspiels fürs Bett aufhebt, oder eben, ja, einfach im Rolli bleiben an der Stelle und das da tun.
Anna: Das wäre jetzt auch meine Idee gewesen, dass ja vielleicht eine größere Spontanität auch dadurch erreicht werden kann, dass das Ganze gar nicht immer im Bett ablaufen muss. Das ist vielleicht auch ein Vorurteil, was ich manchmal höre, dass ja Sex mit Menschen mit Behinderungen, ja eigentlich immer im Bett ablaufen muss. Das würde ich so gar nicht sagen, das ist überhaupt nicht notwendigerweise so und ich glaube, Kreativität hilft da. Ich höre ja, dass gerade Behindertentoiletten geeignete Orte für unterwegs sind, falls einen mal das Bedürfnis überkommt. Und ich kann da auch noch aus meinem persönlichen Erleben erzählen: Ich hatte ja eine sehr schöne und beeindruckende Erfahrung mal auf einem verlassenen Feldweg im Sommer.
Kjell: Das klingt gut, ja, aber Thema Behindertentoilette hab ich tatsächlich auch mal genau die Erfahrung gemacht. Das ist durchaus ein Ort, an dem man sich gegebenenfalls mal zurückziehen kann, wenn man gerade eigentlich in der Öffentlichkeit unterwegs ist und jetzt vielleicht nicht vor der versammelten Öffentlichkeit in irgendeinem Einkaufszentrum oder ähnlichem sich da miteinander vergnügen will. Das hat ja auch so ein bisschen eine Frage, von wie sozial-adäquat verhält man sich da. Dieses konkrete Erlebnis war tatsächlich mal in einem Restaurant. Mit meiner Partnerin saß ich da irgendwie so beim Nachtisch und wir hatten so das Gefühl, jetzt müssen wir uns ganz dringend mal irgendwohin zurückziehen, wie das manchmal so ist, haben das dann eben auch getan und haben da tatsächlich in diesem Restaurant dann die Behindertentoilette genutzt dafür, was sehr angenehm war, weil die einfach sauber und gepflegt war, nicht wie so ein Bahnhofsklo, das wär jetzt glaub ich nicht mein preferierter Ort, war aber dann tatsächlich eine ganz gute Option und hat dazu geführt, dass wir da zumindest mal das ärgste Bedürfnis kurz befriedigen konnten. Pia sagt ja, dass es für sie eine Parallele oder zumindest gewisse Parallelen zu Sex mit Partnern ohne Behinderung gibt. Wie ist denn das für dich, Anna?
Anna: Ja, also ich hab jetzt auch Erfahrungen sowohl mit Partnern mit als auch ohne Behinderung und von außen gesehen muss ich schon sagen, der Ablauf ist ja an sich gleich, ne. Also wahrscheinlich ist dieses Konzept Sex mit einem behinderten Menschen zu haben, viel ähnlicher zu Sex mit Nichtbehinderten, als sich Menschen das vielleicht vorstellen würden. Zumindest gibt es wie gesagt jetzt keine größeren Unterschiede, die irgendwie, ja, von dem bekannten Ablauf dann so abweichen würden. Für mich selbst ist es aber natürlich schon ein ziemlich großer Unterschied. Also gerade Stichwort Erregungslevel, da sind und waren Welten dazwischen. Aber bevor wir dazu kommen, was es für Unterschiede gibt, würde ich sagen wir hören erstmal noch kurz weiter, was Pia noch dazu schreibt.
Pia (gelesen von Anna): Das Neue oder Besondere kam dann erst nach und nach. Wir führten zu Anfang eine Fernbeziehung und da war es bei jedem Wiedersehen so, als würden unsere Körper miteinander Klick machen in dem Moment, wo wir uns umarmten. Ich habe das auch von anderen Dev/disabled Pärchen gehört, dass es sich anfühlt, als ob zwei Magneten oder zwei passende Puzzle-Teile aneinander gefügt werden, wenn sie zusammen sind. Das war für uns beide immer sehr überwältigend und fantastisch. Es ist ein tiefes Gefühl der vollkommenen Anziehung. Es geht mit körperlichem Begehren einher, aber das Gefühl umfasst viel mehr. Es ist wie das Stillen einer großen, mich aufwühlenden Sehnsucht, die aus tiefstem Herzen kommt und in seiner Umarmung aufgefangen und eben gestillt wird.
Anna: Ja soviel erstmal zu diesem Abschnitt. Das hat die Pia hier wirklich total schön beschrieben und ich muss sagen, dass ich das teilweise auch so kenne, also gerade auf der körperlichen Ebene, dass es da so eine, ja, Übereinstimmung gibt, die man sonst selten findet. Und ich glaube, das zeigt vielleicht auch nochmal ganz gut, wie sehr eigentlich beide Partner in Beziehungen zwischen Devs und Menschen mit Behinderung profitieren können.
Kjell: Ja, ich kann das auch genauso nachvollziehen. Das ist natürlich wieder wichtig, dass man da auch mal vom Partner zu hören bekommt, wie schön das vielleicht auch für diese Person ist und ich denke auch für beide Seiten ist da wirklich ganz viel drin in genau auch dieser Körperlichkeit. Wieder einmal wichtig zu kommunizieren und das so auch miteinander teilen zu können, dieses Gefühl. Es scheint aber zumindest für Pia neben den Gemeinsamkeiten durchaus signifikante Unterschiede zu geben, wenn sie jetzt Sex mit einem behinderten Mann hat. Wie erlebst du das denn?
Anna: Für mich gibt es durchaus viele Unterschiede zu vergleichbaren Situationen mit Partnern ohne Behinderung und das liegt, glaub ich, vor allem daran, dass ich mich selbst als viel mehr in der Situation erleben, also dass ich wirklich da bin, abschalten kann, auch weniger Leistungsdruck empfinde, weil eben die Erregung schon vorher da ist oder schon da ist, ohne dass ich mich dazu anstrengen muss. Deswegen ist das alles entspannter und das hinterlässt auch mehr Eindruck, also positiven Eindruck. Das von Pia beschriebene Erleben ist jetzt total schön, hatte ich aber, muss ich jetzt auch zugeben, nicht mit jedem Partner mit Behinderung so erlebt. Es ist eben nicht die Lösung für alle Probleme oder für alle Dev-Probleme Sex mit einem behinderten Partner zu haben. Also das kommt halt dann auch sehr auf den Partner drauf an auf die Person drauf an, ob es daneben Klick macht, wie Pia sagt, oder nicht. Für mich war der Sex immer schöner und auch viel inniger, wenn ich mit dem Partner gemeinsam herausfinden konnte oder teilweise auch musste, was eben funktioniert, was nicht, was für beide schön ist, also wenn Sex sozusagen zum gemeinsamen Projekt oder so zum Joint Venture wird. Das waren für mich immer schöne Situationen, in denen ich das Gefühl habe, dass ich auch wirklich Teil davon bin, dass ich mit meinen Vorstellungen, mit allem, was ich da so mitbringe in die Situation, was da beizutragen habe und nicht nur in irgendein Schema F gepresst werde.
Kjell: Ich find die Idee des Gemeinsamen auch ganz wichtig, also dieses gemeinsame Erforschen, das macht natürlich auch Spaß, aber zu schauen, dass jeder in so einer sexuellen Situation auch die Dinge mitbringt und auch rausbekommt, die er oder sie jetzt gerade sich wünscht. Wenn Sex nur einseitig ist, macht zumindest mir das wenig Spaß.
Anna: Also bei Pia und ihrem Partner scheint es ja auf jeden Fall auf Gegenseitigkeit zu beruhen und da schauen wir mal, was sie weiter schreibt.
Pia (gelesen von Anna): Ungefähr neun Monate nach unserem ersten Mal merkte ich dann, dass sich mein Körper und meine sexuellen Reaktionen sehr krass verändert hatten. Er war in der Lage, mich wie auf Knopfdruck mit seinen Berührungen anzuturnen. Das hatte ich mit keinem anderen Partner so erlebt. Ich hatte auch nie so ein anhaltendes sexuelles Begehren erlebt. Meistens kam in früheren Beziehungen nach wenigen Monaten schon Langeweile und Frust auf. Die Lust ging, sobald die erste Aufregung und Begeisterung sich gelegt hatte.
Kjell: Ja, Sex mit der gleichen Person wird zumindest für mich über die Zeit in aller Regel besser, gerade weil die Person meinen Körper und auch meine Möglichkeiten einfach viel besser kennt.
Anna: Ja und vermutlich gilt das sowohl für die Möglichkeiten als auch für die Grenzen, kann ich mir vorstellen. Bist du denn da auch mal mit unrealistischen Erwartungen konfrontiert worden, dass jemand gesagt hat, ich würde jetzt gerne das und das machen, das kannst du doch bestimmt und dass es dann halt nicht so war?
Kjell: Ja, tatsächlich. Also gerade mit Leuten, die mich eben nicht persönlich kennen, das die dann irgendwie mal Vorstellungen geäußert haben, wo ich gleich gesagt hab: naja, das kann ich mir jetzt irgendwie beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich dann mit einer ausreichenden Menge Kissen in eine fast stehende Position gebracht werde. Da hörte dann meine Vorstellungskraft ein bisschen auf. Apropos stehend: Tatsächlich war mal eine ehemalige Partnerin daran interessiert, stehend Sex in der Dusche zu haben. Das ging natürlich nicht, das war ihr auch klar, aber das war dann tatsächlich auch ein größeres Hindernis in unserer Sexualität, dass sie diesen Wunsch hatte, den ich aber eben naheliegenderweise nicht erfüllen konnte.
Anna: Ja, wie schon gesagt, ich habe es immer als so sehr schöne Situationen erlebt, wenn man eben gemeinsam zu zweit überlegen kann, was man noch ausprobieren könnte, und dabei eben auch vergleichbares Wissen über die körperlichen Möglichkeiten im Hinterkopf hat. Also was du schon gesagt hast, dass der Partner dich dann vielleicht besser kennenlernt über die Zeit und damit eben auch vielleicht realistischere Vorschläge machen kann, was vielleicht noch funktionieren könnte, was man noch ausprobieren könnte. Ich habe zu dem Thema noch eine andere Freundin von mir befragt und ich würde hier ihren Text gerne auch noch kurz einschieben, damit wir vielleicht auch mal ein paar verschiedene Sichtweisen oder Standpunkte haben hier bei unserem Thema heute. Also, sie schreibt:
Freundin von Anna (glesen von Anna): Die meisten trauen sich nicht, das Thema direkt anzusprechen, aber eine Freundin fragte mich, ob wir beim Sex nicht sehr eingeschränkt wären. Ich habe ihr dann erzählt, dass wir viel experimentieren und sogar verschiedene Stellungen möglich sind. Danach kamen sie sich dann vergleichsweise unkreativ vor, was Sex mit ihrem nichtbehinderten Partner angeht. Allerdings war das auch mehr am Anfang, dass wir viel ausprobiert haben, was vielleicht auch bei nicht-behinderten Paaren oft so ist. Mit der Zeit bekommt man dafür Routine und weiß, was gut funktioniert.
Kjell: Was Pia ja vorher in ihrem Text geschrieben hat, war, dass mit dieser Routine zumindest in Unterschied zu Beziehungen mit Behinderten bei ihr so ein gewisser Verlust der Lust, so würde ich das jetzt mal nennen, entsteht. Also dass einfach über die Zeit für Pia nicht-behinderte Partner unattraktiver werden oder zumindest sexuell unattraktiver werden und dass sie dann eben diese Lust nicht mehr so empfindet. Kennst du das eigentlich auch, Anna?
Anna: Ja, das kenne ich total. Also Pia sagt: “Die Lust ging, sobald die erste Aufregung und Begeisterung sich gelegt hatte” und das ist, glaube ich, der Satz, der mich hier in ihrem Text am meisten berührt, weil ich das wirklich haargenau auch so erlebt habe in Beziehungen mit Partnern ohne Behinderung. Das war dann eben auch so eine Situation, die für beide Partner super frustrierend war, weil man kann es nicht ändern. Es gibt keine Abhilfe dafür. Also nur weil der Partner jetzt gerade keine Behinderung hat, ist er für mich halt nicht so attraktiv, oder sagen wir, findet da kaum eine sexuelle Reaktion bei mir statt. Aber da kann ja weder ich noch der Partner was dafür. Und das ist einfach so eine Situation, in der man dann so ein bisschen gegen die Wand läuft, weil man eigentlich kaum Möglichkeiten hat, das zu verbessern.
Kjell: Was genau macht den Sex mit einem behinderten Partner für dich aus?
Anna: Wir haben ja bisher ein bisschen über Sex gesprochen in der Lesart mit Penetration. Für mich gehört da noch ein bisschen mehr dazu und vor allem eben diesen Körper, diesen, ja, sagen wir mal, behinderten Körper, der irgendwie so ganz anders ist als die Körper, die man sonst im Leben so kennt. Den dann berühren zu können, erforschen zu können, was da geht, was nicht, vielleicht auch zu schauen, wie fühlt er sich an, was sind da die Unterschiede, so ein haptisches Kennenlernen. Ich kann mir vorstellen, dass da eine Faszination zugrundeliegt für etwas, was ich jetzt nicht von mir selbst kenne, weil ich eben keinen behinderten Körper habe. Das ist für mich was total spannendes und auch sehr sexuell erregendes und wäre eigentlich auch schon ausreichend und die Penetration wäre dann auch gar nicht unbedingt nötig.
Kjell: Das ist ja für viele Männer ein Thema, also diese Frage, was, wenn ich keine Erektion habe oder halten kann. Das wäre für dich dann vermutlich gar nicht so schlimm, oder?
Anna: Ich hab mit vielen Männern gesprochen, die sich da wirklich Sorgen machen und sagen, dass sie entweder keinen Sex haben können oder dass sie es versuchen zu überspielen und es fühlt sich dann trotzdem eben immer so an, als wäre es ein großes Problem für sie. Wäre es jetzt für mich aber nicht und ich glaube, das gilt auch für viele andere Frauen. Ich glaube, Männer überschätzen ganz gerne, wie wichtig Penetration für Frauen ist, und es gibt ja ganz viele andere spannende Dinge, die man machen kann. Wir haben vorhin über Hilfsmittel gesprochen, auch wenn die nicht möglich sind oder nicht gewollt sind oder man das eben mal spontaner ausleben will, ich glaub, mit ein kleines bisschen Kreativität und ein paar Ideen kann man da so viele tolle Dinge machen, dass es an der Penetration nachher nicht scheitern wird. Pia hat jetzt noch ein paar abschließende Worte, die ich gerne noch vorlesen würde.
Pia (gelesen von Anna): Gerade gestern sprach ich mit meinem Partner darüber, dass Devness oft mit außergewöhnlichen sexuellen Praktiken verglichen wird oder verkürzt als Fetisch bezeichnet wird. Ich finde es okay, wenn das gemacht wird, um Devness gegenüber Skeptikern oder Hatern als eine von vielen Variationen im Garten der sexuellen Vielfalt, als exotisches, aber dennoch akzeptables Gewächs zu etablieren. Für mich greifen diese Vergleiche oder Deskriptoren aber zu kurz. Ich würde es als eine Art des Begehrens beschreiben, dass sich in komplexer Weise auf allen Ebenen abspielt, auch emotional und kognitiv. Für mich sind die emotionale und intellektuelle Anziehung und Verbundenheit essentiell für wirklich erfüllendes sexuelles Erleben. Das ist mir echt wichtig zu betonen. Es ist als Dev nicht leicht, einen Partner zu finden, der auf allen Ebenen zu einem passt. Daher verstehe ich auch, wenn Frauen sich dazu entscheiden, ihre Devness im Reich ihrer Fantasie zu belassen, weil sie keine Abstriche an den charakterlichen Eigenschaften ihres Partners in Kauf nehmen möchten. So ein Beispiel habt ihr ja in der letzten Episode beschrieben. Ich glaube, dass man daran auch merkt, dass der Vergleich mit Fetischen oder extremen Sexualpraktiken hinkt.
Kjell: Apropos Fetische: Es gibt ja durchaus einige Leute, die tatsächlich auch explizit auf, ich sag mal, Hardware stehen, also Rückenstützen, Rollstühle usw, die ganzen Hilfsmittel im klassischen Sinne als sexuell interessant betrachten. Das wäre jetzt eher so im Bereich Fetisch. Ist das für dich eigentlich auch ein Thema, Anna?
Anna: Nein, das ist kein Thema für mich. Ich werde das aber immer mal gefragt und ich hab natürlich schon einen groben Überblick, was es da so gibt und was vielleicht bei bestimmten Behinderungen häufig verwendet wird. Aber die Hilfsmittel an sich haben jetzt für mich keine sexuelle Bedeutung. Das bezieht sich bei mir wirklich komplett auf den Menschen, der die Hilfsmittel daneben benutzt. Es gibt aber andere Devs, für die das nicht so ist, die Hilfsmittel dann auch ins Liebesspiel mit einbauen. Und ich glaube, das ist auch voll ok, wenn das so abgesprochen und von beiden Partnern gewollt ist.
Kjell: Ihr könnt uns ja gerne mal wissen lassen, wie ihr das so erlebt sind. Sind Hilfsittel für euch persönlich hinderlich, hilfreich, vielleicht sogar sexy? Schreibt uns da gerne mal. Vielleicht habt ihr ja auch noch Fragen. Wir hatten schon beim letzten Mal auf unsere FAQ-Folge hingewiesen, das wird die nächste Folge in unserem Podcast. Da könnt ihr uns gerne noch in den Kommentaren auf unserer Website rollirotik.com, alternativ bei Facebook oder Twitter, schreiben, was ihr da gerne besprochen haben wollt. Wir freuen uns immer über eure Nachrichten und natürlich auch ihre andauernde Unterstützung für unseren Podcast. Das wäre es hier an der Stelle aber für heute. Danke, dass ihr dabei wart und bis zum nächsten Mal.
Anna: Macht es gut, bis bald.